6. Zur Zukunft von Hausbesetzungen und ihre Einordnung in eine linke, kommunale Strategie

Hausbesetzungen wird es auch weiterhin geben. Voraussetzung ist allerdings, daß es weiterhin Leerstand von Häusern [1610] und arbeitende linke Gruppen gibt, da nach unseren Recherchen Hausbesetzungen nur selten von BürgerInneninitiativen oder Selbsthilfegruppen durchgeführt wurden. Dies gilt in verstärktem Maße für die neunziger Jahre.
Ob aus diesen Besetzungen eine breite Bewegung mit gesellschaftlicher ‘Sprengkraft’ wird - wie etwa in Frankfurt Anfang der siebziger oder in Berlin Anfang der achtziger Jahre - oder ob Besetzungen eher eine Randerscheinung sind - wie in den neunziger Jahren -, hängt wesentlich von den gesellschaftlichen Bedingungen ab. Aber auch, wenn es wieder zu einem bundesweiten ‘Aufflammen’ von Häuserkämpfen kommen sollte, wird ihnen vermutlich eine ähnlich kurze Lebensdauer beschert sein, wie beispielsweise den Kämpfen der frühen achtziger Jahre.
Häuserkämpfe, Mietstreiks, BürgerInneninitiativen gegen SpekulantInnen und Umstrukturierung sind Teil der Kämpfe von Menschen, die sich gegen ihre Vertreibung aus Stadtteilen, gegen zu hohe Mieten, zu kleine, schlechte Wohnungen und ein Wohnumfeld, das nur noch aus Autos und Büros besteht, zur Wehr setzen. [1611] Diese Kämpfe/Proteste werden auch in anderen Bereichen geführt: Am Arbeitsplatz, in den Schulen, Hochschulen etc.. Aufgabe einer organisierten Linken wäre es, diese Proteste zu unterstützen und Lernprozesse im Hinblick auf deren Einordnung in einen gesellschaftlichen Kontext zu fördern.
Festzustellen ist, daß es eine organisierte Linke, die diese Aufgabe erfüllen könnte, zur Zeit nicht gibt. Auch eine umfassende linke, emanzipatorische Analyse und eine entsprechende Strategie zur Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse existiert in den neunziger Jahren nicht.
Wir wollen dennoch im folgenden einige Eckpunkte [1612] benennen, die unserer Meinung nach notwendig wären, um künftig eine linke, kommunale Politik zu entwickeln:
“Ein Diskussions- und Aktionsforum linker, antifaschistischer Gruppen wäre dringend notwendig, um die Inhalte linker Stadtpolitik (...) neu zu diskutieren, und über das schlichte Reagieren auf rechten Terror oder die Umstrukturierung dieser Stadt hinauszukommen. (...) Ob dies allerdings in jedem Fall durch eine Besetzung erreicht werden kann, ist angesichts der momentanen Kräfteverhältnisse und der Gefahr der inhaltlichen Beschränkung auf wohnungspolitische Aspekte und Abwenden einer Räumung (siehe Pempel) fraglich. Ebensowenig ist ein reines Selbstverwirklichungsprojekt einer Gruppe (wie es zumindest teilweise bei der Pempel der Fall war) geeignet, diesem Anspruch gerecht zu werden .”[1613]
Wir stimmen mit den AutorInnen überein, daß es dringend notwendig ist, die Inhalte linker Stadtpolitik neu zu diskutieren. Wir sind ebenfalls der Meinung, daß eine Politik, die mehr reagiert als agiert, langfristig zum Scheitern verurteilt ist. Auch dies kann aus der Geschichte der Häuserkämpfe gelernt werden. Wir sind allerdings der Meinung, daß ein bloßes Aktions- und Diskussionsforum nicht ausreicht - gebraucht wird eine verbindlich und effektiv arbeitende linke Organisation, die sich nicht auf einen Teilbereich von Politik (Wohnen, Umstrukturierung, Frauen, Antifa, Internationalismus etc.) beschränkt. Im Rahmen dieser Diskussion über linke (Stadt)Politik müßte eine massive Informations- und Bildungsarbeit in den verschiedenen linken Gruppen betrieben werden.
Zudem wäre es den - wiederholten - Versuch wert, die in verschiedenen Gruppen, Parteien und BürgerInneninitiativen arbeitenden Menschen in Form einer Koordinierung oder eines Treffens zusammenzubringen. Es sollte ein kommunalpolitisches Grundsatzpapier erarbeitet werden, das in einen Kontext von Analyse der ökonomischen, politischen, sozialen und kulturellen Situation in der BRD eingebettet ist. Die schwerpunktmäßig zu verschiedenen Themen arbeitenden Menschen/Gruppen sollten sich eine große Sachkompetenz aneignen. Darüberhinaus soll das Treffen einer besseren Abstimmung und Bündelung der politischen Arbeit (beispielsweise Protestaktionen) dienen.
Hausbesetzungen können Teil dieser Politik sein, da sie in bestimmten Situationen und bei entsprechender (kommunal)politischer ‘Einbettung’ sowie entsprechender Öffentlichkeitsarbeit gut dazu geeignet sind, exemplarisch auf gravierende Mißstände in den Bereichen Wohnungsnot, Stadtplanung und Umstrukturierung aufmerksam zu machen. Sie können allerdings nur selten städtische Planungen be- oder gar verhindern. Dazu bedarf es mehr. In diesem Zusammenhang verweisen wir auf die Arbeit der ‘Aktion Wohnungsnot’ in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre, die nach unserer Meinung wesentlich effektiver gegen die Umstrukturierungspläne der Stadt gearbeitet hat, als etwa die HäuserkämpferInnen der achtziger Jahre.
In bezug auf das ‘Offenhalten’ einer ‘Option vergesellschaftender Umgestaltungen im Bereich der Bodenpolitik’ messen wir der Aktionsform Hausbesetzung keine größere Bedeutung zu.
Natürlich ist es wünschenswert, die besetzten Häuser auch zu halten, um dort billigen Wohnraum zu schaffen, aber auch, um alternative, kollektive Lebensformen zu realisieren und Räume für politische und kulturelle Zwecke zur Verfügung zu haben. Das wird mittelfristig nur durch den Abschluß von Mietverträgen oder entsprechenden Vereinbarungen zu erreichen sein. Politische Arbeit kann durch die Existenz besetzter oder selbstverwalteter Häuser erleichtert werden. Außerdem ist die Ausstrahlung, die die Aktionsform Hausbesetzung offensichtlich vor allem für Jugendliche, SchülerInnen, StudentInnen oder subkulturelle Bewegungen hat, nicht zu unterschätzen.
Für die meisten Menschen, die sich gegen die Vertreibung aus ihren Stadtteilen und teure Mieten wehren, werden Hausbesetzungen aber auch künftig nicht die geeignete Protestform sein. Und daß auch - ehemals - besetzte bzw. selbstverwaltete Häuser oder Straßenzüge keine Garantie für gesellschaftliche Veränderung im Sinne emanzipatorischer Ziele sind, haben wir in dieser Arbeit immer wieder dargestellt. [1614] Häuser können geräumt werden, politische Aktivitäten ihrer BewohnerInnen schlafen im Laufe der Jahre ein oder BesetzerInnen und ‘Alternative’ bilden nur die ‘Vorhut’ der später nachziehenden ‘Gentrifier’.
“Wir kritisieren nicht unsere relativen Freiräume an sich, sondern Freiräume als Ziel. (...) ‘Freiräume’ erobern, absichern (...) das ist klassischer Reformismus! Das bringt kein System ins Wanken - auch das kapitalistische System reagiert sehr flexibel darauf: ‘Freiräume’ können integriert, Widerstand kanalisiert werden, Ghettos ohne Sprengkraft - Spielwiesen .”[1615]


[1610] Ob es Leerstand von Wohnhäusern - jedenfalls in größerem Umfang - weiterhin geben wird, ist gar nicht so sicher. Klar ist, daß es in Düsseldorf in den neunziger Jahren - von Ausnahmen wie den nach dem Abzug der Britischen Rheinarmee leerstehenden Häusern einmal abgesehen - bei weitem nicht mehr so viel leere Häuser wie noch in den siebziger oder achtziger Jahren gibt.
[1611] In seinem Buch ‘Die Wiederkehr der Proletarität’ beschreibt Karl Heinz Roth die internationale Dimension dieser Kämpfe: “Weltweit kämpfen die Landlosen, Kleinpächter, squatters, HausbesetzerInnen, Obdachlosen und MieterInnen gegen die fortschreitende Privatisierung und die damit einhergehende Entfesselung der Bodenmärkte. Ihr Widerstand gegen die renditeträchtige Kommerzialisierung von Boden, Parzellen, Wohnraum und Stadtteilen entwickelt sich in den unterschiedlichsten Formen. Dessen ungeachtet werden aber immer grundsätzlich reale Lebenssphären gegen agrarkapitalistische Zerstörungen und spekulative Steigerungen der Bodenrente verteidigt. In der Peripherie, den agrarkapitalistischen Zonen der Semiperipherie und den osteuropäischen Depressionsgebieten streben diejenigen, die den Boden bebauen, danach, ihn im Kampf um eine entschädigungslose Agrarreform als Kommunaleigentum zurückzuerhalten. Auch in den städtischen Agglomerationen geht es im Widerstand gegen weitere Vertreibungen, gegen die Sanierungsspekulation und die Steigerung der Bodenrente um die Behausung als Grundvoraussetzung einer jeden sozial vermittelten individuellen bzw. familiären Aneignung. Die soziale Aneignung und kommunale Selbstverwaltung des Bodens sind eine elementare Antwort auf die durch das Finanz- und Spekulationskapital weltweit radikalisierte marktförmige Kommerzialisierung der primären und sekundären natürlichen Ressourcen des gesellschaftlichen Reichtums.” - Roth, K.H., Die Wiederkehr der Proletarität, S. 278 ff.
[1612] Dabei erheben wir keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Wir können in dieser Arbeit keine Lösung für die Krise der Linken in Düsseldorf oder der BRD aufzeigen.
[1613] Terz, 1/93, S. 16.
[1614] Vgl. Kap. C.III.3.3 (Die Kiefernstraße) und Kap. C.III.1.4.2 (Die Hamburger Hafenstraße).
[1615] Geronimo, Feuer und Flamme, in: Kongreß-Reader, S. 16.


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