Hausbesetzungen - bzw. Landbesetzungen (1918-32)
- wurden aus sehr unterschiedlichen Gründen durchgeführt. In
der Weimarer Republik waren dies vor allem die existentielle Not
vieler Menschen und die Notwendigkeit, ihre Reproduktion in
Eigeninitiative zu sichern. Im Gegensatz zu zahlreichen
Hausbesetzungen in den siebziger bis neunziger Jahren spielten
subjektive Faktoren nur eine untergeordnete Rolle. Eine Ausnahme
bildete lediglich die von AnarchosyndikalistInnen durchgeführte
Besetzung und die Gründung der Siedlung ‘Freie Erde’.
Für Hausbesetzungen konnten von uns fünf Hauptmotive
herausgefunden werden:
Wir fanden heraus, daß ‘Wohnungsnot’ als
Motiv bei Hausbesetzungen in den siebziger bis neunziger Jahren
zwar des öfteren eine Rolle gespielt hat, konnten jedoch kaum
eine Hausbesetzung ausfindig machen, bei der nicht wenigstens
einer der Punkte 2.-5. hinzukam. Anders als im Düsseldorf
der Weimarer Zeit war existentielle Not unseres Wissens nach nur
selten das Hauptmotiv für eine Besetzung.
Die Geschichte der Hausbesetzungen in der BRD hat gezeigt, daß
lediglich die Hausbesetzungen, die den Punkten 1. und 2.
zugeordnet werden können, in der Öffentlichkeit und von
PolitikerInnen als ‘legitimes Mittel’ anerkannt wurden und -
sofern sich die BesetzerInnen auf Vertragsverhandlungen
einließen und keine anderen Interessen (Privateigentum der
Häuser, andere Bebauung) gegenüberstanden - durch
Vertragsverhandlungen legalisiert wurden. Allerdings gelang es
den BesetzerInnen nur in wenigen Ausnahmefällen, kommunale
Planungen zu verhindern oder wenigstens abzuändern. Hätte die
Kiefernstraße beispielsweise einem Projekt wie dem
Rheinufertunnel oder dem IHZ ‘im Weg’ gestanden, würden die
Häuser heute wahrscheinlich nicht mehr existieren.
Die unter Punkt 3. genannten Autonomievorstellungen konnten
ebenfalls nur in solchen besetzten Häusern ansatzweise
realisiert werden, die über Verträge legalisiert wurden. Die
ehemaligen BesetzerInnen hatten die Möglichkeit, in ihren
Häusern auch weiterhin alternative Lebensformen auszuprobieren
oder kulturelle Freiräume zu gestalten. Das
politisch-administrative System erlaubte den BesetzerInnen die
Errichtung solcher “geistig-kulturelle[n] oder
materiell-kulturelle [n] Nischen innerhalb des
Kapitalismus, [weil sie], (...) Ventile bedeuten,
Fluchtübungen sein können .”[1608] Ein Beispiel für diese Art von
erlaubtem und sogar forciertem Rückzug war die Düsseldorfer
Kiefernstraße. Man könnte hierbei von kontrollierten oder
integrierten ‘Freiräumen’ sprechen, von denen keinerlei
gesellschaftsverändernde Impulse mehr ausgingen. Wie wir in
Kapitel B.II.3.3 (Gentrification) beschreiben, ist es sogar
möglich, daß gerade das Etablieren von anti-bürgerlichen ‘Nischen’
- die sich zu alternativen Strukturen weiterentwickeln können -
in Stadtvierteln einen Zuzug von Besserverdienenden und damit
eine Verdrängung der bisherigen Bevölkerung auslösen
beziehungsweise beschleunigen kann.
Hausbesetzungen, die in erster Linie durchgeführt wurden, um
über das Eindringen in die Reproduktionssphäre den
antikapitalistischen Kampf außerhalb der Fabriken zu führen
(Punkt 4.), wurden, genauso wie die “ Nester (...), von
denen aus der Widerstand zusammenhängend gegen den Imperialismus
organisiert und praktisch wird ”[1609] (Punkt 5.), am entschiedensten
kriminalisiert und durch Räumung beendet. In der Regel waren die
BesetzerInnen dieser Häuser auch nicht an Vertragsverhandlungen
interessiert. Aus Berlin ist bekannt, daß dort vor allem die ‘unbequemen’
Häuser, in denen ‘NichtverhandlerInnen’ wohnten, geräumt
wurden. Nach unseren Informationen gab es in der Geschichte der
bundesdeutschen Häuserkämpfe erst einen zumindest zeitweilig
erfolgreichen Versuch, Hausbesetzungen, die maßgeblich von
StudentInnen und linken AktivistInnen getragen wurden, mit den
MieterInnenstreiks und Protesten von BürgerInnen, zum großen
Teil MigrantInnen, zu verbinden. Diese kurze Phase im Frankfurter
Westend Anfang der siebziger Jahre barg ein explosives Potential,
das sich jedoch nicht entfalten konnte. Dies lag sowohl an dem
Scheitern der Mietstreikkampagne, die von der Initiative viel zu
weniger Menschen (‘Reisekadern’) abhing, als auch an der
Fixierung der BesetzerInnen auf die militante Verteidigung ‘ihrer’
Häuser im weiteren Verlauf.
Zusammenfassend stellen wir fest, daß die meisten der in den
siebziger bis neunziger Jahren besetzten Häuser - vor allem
solche in Privatbesitz - wieder geräumt wurden. Die
Häuserkämpfe, die Anfang der achtziger Jahre stattfanden,
entwickelten nur für eine relativ kurze Zeit - etwa ein Jahr
lang - eine Dynamik, die viele HäuserkämpferInnen glauben
ließ, in Besetzungen einen gesellschaftsverändernden,
revolutionären Ansatzpunkt gefunden zu haben. Dies war nicht der
Fall. Ein Fehler der BesetzerInnen war die Fixierung auf die
besetzten Häuser als Ausgangspunkt und Zentrum ihrer politischen
Arbeit. Nach der Räumung der Häuser oder Vertragsabschlüssen
verschwand die Bewegung so schnell, wie sie gekommen war. Zurück
blieben die oben beschriebenen Nischen.
An dieser Stelle möchten wir auf ein grundlegendes Problem von
Hausbesetzungen hinweisen:
Die Politik der HausbesetzerInnen, sowohl der überwiegend ‘wohnungspolitisch’
orientierten, als auch derjenigen, die damit dieses
Gesellschaftssystem angreifen oder breite Massen politisieren
wollten, ging davon aus, daß Widersprüche zwischen
existierenden Bedürfnissen (Wohnen) und ihrer Nichtbefriedigung
in dieser Gesellschaft eine Veränderung bzw. Revolutionierung
fördern.
Wie das Studium der Häuserkämpfe in der BRD zeigt, ist dieser
Ansatz nicht aufgegangen.
Die Konsequenz, die diese Erkenntnis für HausbesetzerInnen mit
gesellschaftsveränderndem Ansatz hat, ist unserer Meinung nach
aber nicht die, daß Häuserkämpfe künftig keinen Sinn mehr
machen. Sie können jedoch weder der Ausgangspunkt für
eine grundlegende Revolutionierung der gesellschaftlichen
Verhältnisse sein, noch dürfen sie im Mittelpunkt der
politischen Aktivitäten stehen.
[1608] Ebenda, S. 83.
[1609] Sägespan Nr. 11, 6/81, S. 31.