II. Die siebziger Jahre und Vorgeschichte

 

1. Entwicklungen im Deutschen Reich/ in der BRD

 

1.1 Gesellschaftspolitische Entwicklungen in Deutschland von 1933 bis 1979

1.1.1 Der Faschismus

Am 30. Januar 1933 ernennt Reichspräsident v. Hindenburg den Führer der NSDAP, Adolf Hitler, zum neuen Reichskanzler. Damit beginnt in Deutschland eine Periode offenen faschistischen Terrors, die erst mit der militärischen Zerschlagung des Hitlerfaschismus durch die Alliierten Truppen am 8. Mai 1945 beendet wird. In den zwölf Jahren seiner Herrschaft vernichtet der Nationalsozialismus nicht nur fast die gesamte ArbeiterInnenbewegung und ihre Organisationen - SPD, KPD und Gewerkschaften - ,er ersetzt auch die parlamentarische Demokratie durch eine offene Diktatur . “Die Illusion [eines großen Teils der Mittelschichten, die die NSDAP gewählt hatten; d.V.] , der Faschismus werde die Position des Mittelstandes festigen und eine ständische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung herstellen, wurde nun rasch zerstört. Die einzige noch bestehende und jetzt absolut herrschende gesellschaftliche Macht war nun das große Kapital, dessen Vertreter zusammen mit den Führern der faschistischen Partei die Machtzentren besetzt hielten und den politischen Kurs des Systems festlegten. [324] Der Nationalsozialismus tastet - trotz aller antikapitalistischen Rhetorik - weder die Besitzstände der ländlichen GroßgrundbesitzerInnen noch die der Großindustrie oder des Bankkapitals an. Im Gegenteil ermöglichen die forcierte Rüstungspolitik der Nationalsozialisten sowie die ab 1939 von Deutschland geführten imperialistischen Eroberungskriege in ganz Europa den deutschen Konzernen die Realisierung gigantischer Profite. So erwirtschaftet z.B. der im Rüstungsbereich stark engagierte Krupp-Konzern noch 1933/34 Gewinne in Höhe von 6,65 Millionen Reichsmark (RM), 1938/39 - die Vorbereitungen für den lange geplanten Krieg laufen auf Hochtouren - sind es bereits 21,11 Millionen Reichsmark (RM). [325] Trotz kriegsbedingter Zerstörungen befindet sich die Kapazität der meisten deutschen Großunternehmen im Mai 1945 in etwa auf dem Stand des Jahres 1939. Enorme Gewinne erwirtschaften zahlreiche deutsche Unternehmen außerdem durch die millionenfache Zwangsarbeit vor allem von KZ-Häftlingen und Kriegsgefangenen [326], der hunderttausende von Menschen zum Opfer fallen. [327] Am Ende des Zweiten Weltkrieges liegt ein Großteil Europas in Trümmern. Am schlimmsten sind die Zerstörungen in der Sowjetunion, wo die deutschen Truppen eine ‘Strategie der verbrannten Erde’ betreiben. Durch den faschistischen Überfall wurden allein in der Sowjetunion 20,6 Millionen Menschen, davon über 7 Millionen ZivilistInnen, getötet. [328] In den von den Nationalsozialisten überall in Europa errichteten Konzentrations- und Vernichtungslagern werden viele Millionen Menschen ermordet, darunter ungefähr sechs Millionen Menschen jüdischen Glaubens, über 200.000 Sinti und Roma, tausende KommunistInnen und Homosexuelle. Ein bedeutender Teil der ‘arbeitsfähigen’ KZ-Häftlinge wird dabei - in enger “Kooperation zwischen der SS und der Industrie [329] - zur Zwangsarbeit vor allem in der Rüstungsindustrie eingesetzt und muß dort unter entsetzlichen Bedingungen arbeiten. Die meisten Häftlinge überleben diese ‘Vernichtung durch Arbeit’ nicht. [330]

1.1.2 Kriegsende und alliierte Besatzung

Die Alliierten der Anti-Hitler-Koalition - die Sowjetunion, die USA, Großbritannien und Frankreich - diskutieren bereits auf der Konferenz von Teheran (1943) über den als ‘Morgenthau-Plan’ bekanntgewordenen Vorschlag aus dem US-Finanzministerium, der die Aufteilung Deutschlands in verschiedene Zonen unter alliierter Kontrolle, Gebietsabtretungen an Frankreich und Polen sowie die Vernichtung der gesamten deutschen Industriekapazitäten vorsieht. Dieser Plan findet jedoch keine Mehrheit. Schließlich wird 1945 auf der Konferenz von Potsdam der endgültige Teilungsplan für das besiegte Deutsche Reich beschlossen, der die Gebietsabtretungen an Polen sowie die Grenzen der Besatzungszonen der vier alliierten Siegermächte festlegt. [331]
Bereits im Jahre 1945 endet die Zusammenarbeit zwischen den drei westlichen Alliierten und der Sowjetunion. [332] Mit dem Beginn des ‘Kalten Krieges’ wird auch die Teilung Deutschlands in drei westliche und eine sowjetische Besatzungszone besiegelt, allerdings unter starkem Druck der westlichen Alliierten, die eine Vereinigung der vier Zonen - wie von Stalin zuletzt am 10. März 1952 vorgeschlagen - nicht zulassen wollen. Die Spaltung Deutschlands wird mit der Verkündung einer separaten Währungsreform in den drei Westzonen am 18. Juni 1948 manifest. Am 24. Mai 1949 tritt das einen Tag zuvor vom Parlamentarischen Rat verkündete Grundgesetz (GG) der Bundesrepublik Deutschland (BRD) in Kraft. Daraufhin wird am 7. Oktober 1949 mit der Verabschiedung einer Verfassung in der sowjetischen Besatzungszone die Deutsche Demokratische Republik (DDR) gegründet. [333]
Da selbst eine kurze Darstellung der Geschichte der DDR von 1949 bis 1989 den Rahmen dieser Arbeit (endgültig?) sprengen würde, beschränken wir uns im folgenden auf die Darstellung der Geschichte der BRD. Allerdings sei hier auf einige Anmerkungen zum Ende des Staates DDR 1989/90 [334] sowie zur Wohnungssituation in der DDR [335] hingewiesen.

1.1.3 Restauration und Wiederaufbau: Die Adenauer-Ära

Bei den Wahlen zum ersten Deutschen Bundestag am 14. August 1949 erhält die neugegründete Partei CDU mit 31% den höchsten Stimmenanteil, die zuvor favorisierte SPD erzielt lediglich 29,2% der Stimmen. Zum ersten Bundeskanzler der BRD wird mit knapper Mehrheit der CDU-Vorsitzende in der britischen Zone, Konrad Adenauer, gewählt. Auch die KPD ist - mit einem Stimmenanteil von 5,7% - noch bis zu den Bundestagswahlen von 1953 im Parlament vertreten. [336] Adenauer verfolgt ein striktes Konzept der Westeinbindung der BRD. Seine Strategie ist es, “durch Integration der Bundesrepublik in ein starkes militärisches Bündnis die Sowjetunion und Polen zur Aufgabe ihrer im zweiten Weltkrieg erreichten Positionen zu zwingen und einen Anschluß der DDR an die kapitalistische Bundesrepublik zu erreichen ”.[337] Die Politik der Bundesregierung ist also, neben des angestrebten Anschlusses der DDR, auf eine Revision der polnischen Westgrenze ausgerichtet. Die Wiederherstellung eines kapitalistischen Staates in den Grenzen von 1937 bleibt mindestens bis zum Abschluß der Ostverträge 1970 politische Maxime der jeweiligen Bonner Regierung. Aus diesem Grund lehnt Adenauer mit Unterstützung durch die Regierungen Frankreichs, Großbritanniens und der USA alle Vereinigungs-Angebote aus Moskau oder Ostberlin ab. Bereits am 23. Oktober 1954 wird die BRD in das 1949 gegründete westliche Militärbündnis North Atlantic Treaty Organisation (NATO) aufgenommen. Am 5. Mai 1955 endet mit der Ratifizierung des ‘Deutschlandvertrages’ die Besatzungszeit in den drei Westzonen. [338] Die BRD ist von nun an (teil)souverän, allerdings besitzen die Militärbefehlshaber der drei Westmächte weiterhin das Recht, “bei äußerem und innerem Notstand (...) die Regierungsgewalt zu übernehmen .”[339] Nur ein Jahr später, am 6. März 1956, wird mit der Gründung der Bundeswehr die bereits ab 1948 fast ausschließlich von ehemaligen Wehrmachtsoffizieren [340] geleitete Wiederbewaffnung durch eine Grundgesetzänderung (mit den Stimmen der SPD) abgeschlossen. In der westdeutschen Bevölkerung führt die Remilitarisierungspolitik Adenauers bereits seit Anfang der fünfziger Jahre zu heftigen Protesten. Bei einer Demonstration gegen die Wiederbewaffnung in Essen wird 1952 das KPD-Mitglied Philipp Müller von der Polizei erschossen. [341] Nachdem der seit 1956 amtierende Verteidigungsminister Franz Josef Strauß (CSU) die Ausrüstung der Bundeswehr mit atomaren Gefechtsfeldwaffen gefordert hat, kommt es in der westdeutschen Öffentlichkeit erneut zu massiven Protesten. “Die Gegenwehr erhielt Anfang 1958 Züge einer Massenbewegung. An ihr beteiligten sich SPD, DGB und (am Rande) FDP durch die Gründung der ‘Aktion Kampf dem Atomtod’ - offensichtlich auch in der Absicht der Kanalisierung von bereits vorhandenem Protest .”[342] An diese Massenmobilisierung anknüpfend, findet 1960 der erste ‘Ostermarsch der AtomwaffengegnerInnen’ statt, von dem sich SPD und DGB distanzieren. Allerdings kann dadurch nicht die Teilnahme von etlichen SozialdemokratInnen und GewerkschafterInnen verhindert werden, die in den folgenden Jahren, zusammen mit parteilosen SozialistInnen, christlichen Gruppen, KommunistInnen und bürgerlichen PazifistInnen - bundesweit mehrtägige Ostermärsche durchführen.
Das außen- wie innenpolitische Klima der Adenauer-Zeit ist geprägt von Antikommunismus und einer starken polizeilichen und gerichtlichen Repression gegen linke Gruppierungen und Parteien. Das Bundesverfassungsgericht (BVG) entspricht am 17. August 1956 dem Antrag der Bundesregierung, die Verfassungswidrigkeit der KPD festzustellen. [343] Dies hat zur Folge, daß die Partei - wie bereits 1954 die Jugendorganisation Freie Deutsche Jugend (FDJ) - verboten wird. Büros und Zeitungen der KPD werden geschlossen und ihre Mitglieder entweder verhaftet oder gezwungen, ihre Tätigkeit künftig in der Illegalität auszuüben. Zwischen 1951 und 1968 werden nach vorsichtigen Schätzungen über 125.000 Ermittlungsverfahren [344] gegen KommunistInnen eingeleitet und unzählige Berufsverbote gegen Menschen ausgesprochen, die verdächtigt werden, der illegalen KPD anzugehören bzw. politische Kontakte zur DDR zu unterhalten. [345] Schon die Organisierung einer Jugendfreizeit in der DDR kann eine Verhaftung und Verurteilung zur Folge haben. [346]
Zur Schilderung der restaurativen und repressiven innenpolitischen Tendenzen im Westdeutschland der fünfziger Jahre - die nicht nur gegen KommunistInnen gerichtet sind - sei hier eine Passage aus Peter Brückners 1976 erschienener Meinhof-Biografie zitiert: “Wer den für die Restauration wesentlichen Elementen der Regierungspolitik und ihren Verfechtern nicht zustimmte, galt entweder als Dummkopf oder als (halber) Verbrecher. (...) [Diese Diffamierungen] trafen: die SPD - ob nun wirklich noch oppositionell oder schon nicht mehr -, die Gewerkschaften, linke und liberale Intellektuelle, Studenten, Journalisten, Redakteure und Schriftsteller. Gleichschaltungs-Tendenzen im Nachrichtenwesen wurden (...) schon in den ersten Jahren der Bundesrepublik spürbar (...), aber erst gegen Ende des Jahrzehnts begannen diese Gleichschaltungs-Tendenzen (...) das Gesicht der ‘öffentlichen Meinung’ zu bestimmen. (...) Eine heilige Allianz von Ordnungsmächten: Regierung, Kapital, Katholizismus, verbündet mit der kleinbürgerlichen (und öfters nationalistischen) Mentalität in breiten Bevölkerungsschichten, sorgte für die Durchdringung des Landes mit Tabus, die nicht nur die freie Gestaltung des geistigen und kulturellen, sondern auch die Entfaltung des politischen Lebens einengten und bedrohten (und, als eine latente Gewaltform bürgerlicher Herrschaft, bis in die zwischenmenschlichen, nachbarlichen Beziehungen hinein wirksam wurden). [347]
Hierbei spielen natürlich die Kontinuität des faschistischen Deutschlands, die in Gestalt von Personen, Gesetzen, wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Strukturen in die BRD hineinreichen, eine entscheidende Rolle. Die Bundeswehr wird von Wehrmachts- und SS-Offizieren aufgebaut. Auch der neue westdeutsche Geheimdienst, der Bundesnachrichtendienst (BND), wird mit US-Hilfe vom ehemaligen Leiter der Abteilung ‘Fremde Heere Ost’ im Generalstab der Deutschen Wehrmacht, Reinhard Gehlen, und seiner Truppe aus hochrangigen SS- und Wehrmachtsoffizieren aufgebaut. Über Gehlen sagt der renommierte Sowjetspezialist im amerikanischen Außenministerium, Arthur M. Cox: “Gehlen hatte enormen Einfluß im Krieg. Er war einer der Hauptplaner der Operation Barbarossa, der Nazi-Invasion in der Sowjetunion. Er war Hitlers Geheimdienstchef für die Ostfront. Er war also ein unerhört einflußreicher Mann im Krieg und mitverantwortlich für den Tod von Millionen sowjetischer Bürger .”[348] Gehlen, der bis 1956 Chef der ‘Organisation Gehlen’ und dann bis 1968 Präsident des BND sein wird, wird nie bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen angeklagt. Nicht zur Verantwortung gezogen werden ebenfalls unzählige hohe Nazifunktionäre und SS-Offiziere, die Kriegsverbrechen und Massenmorde verübt hatten, alle Nazirichter - verantwortlich für abertausende von Todesurteilen gegen politische Gegner - oder auch die Firmenleitungen der IG Farben, des Krupp-Konzerns und anderen, die Krieg und Massenvernichtung mit vorbereitet und von ihnen profitiert haben. [349]

1.1.4 Außenpolitik bis 1970

Außenpolitische Maxime ist seit 1955 die Hallstein-Doktrin [350], in der die Bundesregierung die Aufnahme normaler diplomatischer Beziehungen mit der Sowjetunion mit deren Anteil an der Viermächte-Verantwortung für ganz Deutschland begründet. Gleichzeitig wird erklärt, die ‘Sowjetische Besatzungszone’ sei kein selbständiger Staat. Deshalb betrachte “die Bundesregierung auch künftig die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der ‘DDR’ durch dritte Staaten als einen unfreundlichen Akt (...), da er geeignet wäre, die Spaltung Deutschlands zu vertiefen .”[351] Die Bundesregierung besteht weiterhin auf ihrem Alleinvertretungsanspruch für ganz Deutschland und sanktioniert diejenigen Länder, die diplomatische Beziehungen zur DDR aufnehmen, mit dem Abbruch der diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen. [352] Erst im Februar 1970 wird der Außenminister der sozial-liberalen Koalition, Walter Scheel (FDP), erklären: “Die Hallstein-Doktrin ist tot .” [353]

1.1.5 Gesellschaftlicher Wandel: Wirtschaftskrise, Große Koalition und APO

Im Oktober 1963 wird Ludwig Erhard der Nachfolger Adenauers als Bundeskanzler. Es kommt zur Unterzeichnung von ersten Abkommen über Besuche in der DDR zwischen dem sozialdemokratisch geführten Westberliner Senat und der Ostberliner Regierung. Die vom SPD-Politiker Egon Bahr vorgeschlagene Strategie des ‘Wandels durch Annäherung’ trägt erste Früchte.
Trotz des bereits 1964 absehbaren Endes des positiven Konjunkturverlaufs hält Ludwig Erhard “einerseits an seinem Modell der ‘freien’ oder ‘sozialen’ Marktwirtschaft fest, zugleich war absehbar, daß das ‘freie Spiel der Kräfte’ nicht imstande sein werde, die Konzentration auf vordringliche Projekte des Infrastruktur-Ausbaus zu gewährleisten .”[354] Das Ende der seit 1949 währenden CDU-Regierung kündigt sich an. Bei der Diskussion um die Notstandsgesetze macht die SPD 1965 deutlich, daß sie nur um den Preis einer Regierungsbeteiligung zusammen mit der bisherigen Regierungskoalition stimmen würde. [355] Zwar gewinnen die bisherigen Regierungsparteien die Wahlen im September 1965 noch einmal mit klarer Mehrheit, aber die 1966 beginnende Wirtschaftskrise läßt das Bündnis schon nach kurzer Zeit auseinanderbrechen: Die FDP verläßt in diesem Jahr die Regierung, weil sie geplante Steuererhöhungen nicht mittragen will. So kommt es im Dezember 1966 zur Bildung der ‘Großen Koalition’ unter Kurt Georg Kiesinger [356] (CDU). Vizekanzler und Außenminister wird Willy Brandt [357] (SPD).
Im Mai 1969 verabschieden die Fraktionen von CDU/CSU und die Mehrzahl der SPD-Abgeordneten die grundgesetzändernden Notstandsgesetze, mit denen im ‘Verteidigungsfall’ sowie bei einem ‘inneren Notstand’ Grundrechte massiv eingeschränkt bzw. aufgehoben werden können. Vor allem die quasi-diktatorischen Vollmachten der Bundesregierung bei einem ‘inneren Notstand’ - etwa bei der ‘Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer’ - stößt auf massiven Protest der Außerparlamentarischen Opposition (APO).
“Diese erhält während der großen Koalition zunehmenden Einfluß. Zu ihren Kernen gehörte der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS). Seit 1967 gewann in dieser Organisation eine Richtung die Mehrheit, welche nicht ausschließlich die Herrschaft der Kapitalistenklasse, sondern alle Staatlichkeit, verinnerlichte psychische Zwänge und die Manipulation der Massenmedien in der Bundesrepublik und Westberlin, insbesondere der Erzeugnisse des Axel-Springer-Pressekonzerns, zur Ursache von Unterdrückung erklärte.” [358] Auch die autoritären, undemokratischen Ordinarienuniversitäten [359] sowie der seit 1965 von den USA in Indochina eskalierte Krieg werden zu Kristallisationspunkten des außerparlamentarischen Protestes, vor allem an den Hochschulen. Bereits 1960/61 war es zum Bruch zwischen der SPD und ihrer StudentInnenorganisation SDS gekommen. Der SDS “bekämpfte den Anpassungskurs der SPD-Führung und legte zunehmend Wert darauf, daß in seinen Reihen der Marxismus als Instrument der Gesellschaftsanalyse Geltung erhielt .”[360]
Am 2. Juni 1967 wird der Student Benno Ohnesorg bei einer Demonstration gegen den Besuch des Schahs von Persien in Berlin von einem Polizisten durch einen Schuß in den Hinterkopf getötet. Schon seit Beginn der ersten Aktionen der APO hatte vor allem die rechte Springer-Presse gegen die Protestierenden gehetzt, [361] verschärfte die Polizei die Repression und knüppelte mit immer größerer Regelmäßigkeit und Brutalität Demonstrationen und ‘happenigs’ zusammen. “Auch fromme Christen grübelten allmählich, daß es zwar eine Sache sei, auch noch die andere Wange hinzuhalten, daß aber selbst Jesus nie gepredigt hat: laß die Demonstranten jede Woche einmal von der Polizei verhauen. Vom Staat und seinen Vollzugsorganen auf’s Anschaulichste darüber belehrt, daß in der Politik nicht nur Argumente zählen, dachten nun viele Demonstranten darüber nach, wie es zu verhindern sei, daß man stets ein duldendes Opfer der herrschenden, vorgefundenen Gewalt werde .”[362] Ihren Höhepunkt erreichen die Proteste im Jahr 1968. Nach dem Attentat auf Rudi Dutschke blockieren DemonstrantInnen am Karfreitag und Ostermontag in mehreren Städten die Auslieferung der BILD-Zeitung, etliche Lieferwagen des Springer-Konzern werden in Brand gesteckt. Es kommt zu schweren Zusammenstößen zwischen DemonstrantInnen und Polizei, bei denen ein Demonstrant und ein Fotoreporter sterben. Von jetzt an wird die ‘Gewaltfrage’ stets im Zentrum der Auseinandersetzungen innerhalb der linken außerparlamentarischen Bewegungen in der BRD bleiben.

1.1.6 Die sozialliberale Koalition: Ostverträge, Bildungsreform und Berufsverbote

Am 5. März 1969 wählt die Bundesversammlung mit den Stimmen von SPD und FDP den SPD-Kanditaten und ehemaligen Justizminister der Großen Koalition, Gustav Heinemann, zum vierten Bundespräsidenten der BRD. Heinemann spricht bei seiner Amtsübernahme von einem 'Stück Machtwechsel' und fordert 'mehr Demokratie', innenpolitische Reformen, Abrüstung und Verständigung mit den östlichen Nachbarn.
Bei den Wahlen zum 6. Bundestag am 28. September 1969 bleiben CDU/CSU zwar die stärkste Partei, die SPD überspringt allerdings erstmalig die 40%-Hürde und vereinbart mit der FDP eine sozialliberale Regierungskoalition. Willy Brandt, der am 21. Oktober 1969 zum Bundeskanzler gewählt wird, löst damit eine über 20 Jahre andauernde CDU/CSU-Herrschaft ab [363].
Brandt tritt das Kanzleramt 1969 mit dem vielbeachteten Slogan ‘Mehr Demokratie wagen’ an. Schon lange hatten “die Sozialdemokraten die Aufhebung sozialer Ungleichheit durch die Schaffung umfassender Bildungsmöglichkeiten für alle gefordert .”[364] Das verknöcherte, undemokratische Bildungssystem, das vor allem Frauen [365] und ArbeiterInnenkinder benachteiligt, soll reformiert werden. Nicht nur der Protest der StudentInnenbewegung beschleunigt den Strukturwandel im Schul- und Hochschulwesen: die modernisierungfeindlichen und konservativen Hochschulen sind längst zu einem Hemmschuh für eine weitere dynamische kapitalistische Entwicklung geworden. [366] Bereits seit Mitte der sechziger Jahre warnten deshalb auch konservative Vordenker vor einer drohenden ‘Bildungskatastrophe’ und forderten massive staatliche Investitionen, ohne die es bald zu wenig IngenieurInnen und LehrerInnen gebe. “So schienen ein sozial und humanistisch motivierter Emanzipationsanspruch und die Interessen an Reparaturen der Infrastruktur der kapitalistischen Gesellschaft zeitweise ein Bündnis miteinander einzugehen .”[367] Tatsächlich verändert sich in den folgenden Jahren einiges an den Schulen und Hochschulen der BRD. 1971 wird das Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) verabschiedet, das eine einkommensabhängige Förderung von SchülerInnen und StudentInnen in Form eines Vollzuschusses vorsieht. [368] Auch die von der CDU heftig bekämpfte Gesamtschule - in der die Kinder nicht sofort nach der Grundschule angeblich ihren ‘Begabungen’ entsprechenden einer der drei Schultypen zugeordnet werden - symbolisiert den Reformwillen der beginnenden Siebziger. Auch die Situation von Mädchen und Frauen an Schulen und Hochschulen verbessert sich seit Mitte der sechziger Jahre - zumindest, was die Quantität betrifft. Liegt die Quote der Studienanfängerinnen noch 1960 bei 25%, sind es 1970 bereits 34% und 1983 immerhin 43%. [369] Demgegenüber steht jedoch bis heute ein unverhältnismäßig geringer Anteil von Professorinnen, weiblichen Lehrbeauftragten und im Mittelbau angestellten Frauen. [370] Allerdings veränderte sich für die ArbeiterInnenkinder, für die die sozialdemokratischen Reformen in erster Linie gedacht sein sollten, nicht viel. “Bei etwas über 40% Arbeitern gemessen an der Gesamtbevölkerung ist der Anteil ihrer Kinder im Gymnasium zwischen 1972 und 1982 von 6% auf 11% gestiegen - und geht seither wieder leicht zurück .”[371] Und die Forderung nach mehr studentischer Mitbestimmung, die an einigen Hochschulen zum System der drittelparitätisch besetzten Hochschulgremien geführt hatte, wird durch das BVG-Urteil vom 29. Mai 1973 wieder zurückgedrängt. [372]
Auch andere Reformen, wie die Einführung der Gesamthochschule (GHS), bleiben stecken. Dieser neue Hochschultyp, der die Verbindung zwischen den ebenfalls neuen Fachhochschulen (FH) und den Universitäten darstellt [373], wird zu Beginn der siebziger Jahre von allen - auch konservativen - BildungspolitikerInnen gefordert, wenn auch z.T. in sehr unterschiedlicher Form. In den CDU-regierten Bundesländern wird das Modell jedoch sehr schnell fallengelassen. Letztendlich werden lediglich fünf GHS in zwei SPD-regierten Bundesländern gegründet: In Hessen (Kassel 1971) und NRW (Essen, Duisburg, Paderborn und Siegen 1972). Durchgesetzt hat sich das Modell der Fachhochschulen als höhere (wissenschaftliche) Stufe der höheren Fachschulen für Sozialpädagogik, Werkkunstschulen, IngenieurInnenschulen etc.. Die bisherige Schulbildung wird in den tertiären Bereich (Hochschulen) gehoben. [374] Da es zur FH mehr Hochschulzugänge gibt - etwa die FH-Reife an Realschulen und Gymnasien, Qualifikation über berufliche Bildung oder den 2. Bildungsweg - wird damit der tertiäre Bereich auch sozial geöffnet. [375]
Insgesamt kann also auch konstatiert werden, daß durch den von der sozialliberalen Koalition geförderten ‘Bildungsschub’ viel mehr Menschen - vor allem aus unteren sozialen Schichten - die Möglichkeit erhalten, ihre Schullaufbahn mit dem Abitur abzuschließen bzw. über die Öffnung des tertiären Bereichs - vor allem durch den neuen Typ der FH - ein regelrechter ‘run’ auf die Hochschulen einsetzt. Das in der gesamten Gesellschaft ansteigende Bildungsniveau hat Auswirkungen auf sich verändernde Lebensstile und gesellschaftliche Normen. [376]
Unter dem SPD-Kanzler Willy Brandt wird auch in der Ostpolitik eine Wende eingeleitet. Im März 1970 reist Brandt als erster Regierungschef der BRD auf Einladung des ostdeutschen Ministerpräsidenten Willi Stoph in die DDR. In einem Kommentar für den Spiegel schreibt der damalige Journalist und SPD-Politiker Günter Gaus, der von 1973 bis 1981 die Ständige Vertretung der BRD in Ostberlin leiten wird, im Vorfeld dieser Reise: “Ohne Täuschung und Selbsttäuschung aber gehört zu der jetzigen Bonner Ostpolitik die Einsicht, daß am Ende die unmißverständliche Anerkennung der DDR steht - eine Anerkennung, an deren Eindeutigkeit dann nur noch berufsmäßige Exegeten des Völkerrechts akademische Zweifel haben können. Wann dieser Punkt erreicht sein wird, läßt sich noch nicht sagen: Aber die Bundesregierung muß auf ihn vorbereitet sein, oder ihre Ostpolitik ist unsolide .”[377]
Noch im August und Dezember desselben Jahres schließen die BRD und die Sowjetunion bzw. die Volksrepublik Polen Verträge über die Unverletzbarkeit der Staatsgrenzen - einschließlich der Oder-Neiße-Linie, der Westgrenze Polens, und der Grenze zwischen BRD und DDR. [378] Der berühmte Kniefall Brandts vor dem Mahnmal im Warschauer Ghetto während seiner Polenreise am 7. Dezember 1970 “symbolisierte die sittlichen Perspektiven der Ostpolitik, die er seit seiner Regierungsübernahme im Oktober 1969 durchzusetzen bemüht war .”[379] Schließlich, am 21. Dezember 1972, kommt es zur Unterzeichnung des Grundlagenvertrages zwischen BRD und DDR, in dem die Unverletzlichkeit ihrer Grenzen und ein gegenseitiger Gewaltverzicht festgelegt werden. [380] Diese neue Ostpolitik ist jedoch in erster Linie die Anerkennung eines politischen und militärischen Kräfteverhältnisses in Europa, das von den USA bereits seit Anfang der sechziger Jahre als ‘Patt’ anerkannt wird. Die Konfrontationspolitik der CDU/CSU, die stets auf eine politische und/oder militärische Zurückdrängung des kommunistischen Einflusses in Europa ausgerichtet war, ist endgültig gescheitert - der Kalte Krieg ist vorbei. Außerdem drängt die in Osteuropa stark engagierte Exportindustrie der BRD nach Erleichterungen vor allem im innerdeutschen Handel. [381]
Um jeden Verdacht zu zerstreuen, die SPD plane durch die Zusammenarbeit mit KommunistInnen und anderen linken ‘Verfassungsfeinden’, das Land in die Einflußsphäre des sozialistischen Lagers abdriften zu lassen, verbietet der Parteirat der SPD bereits im November 1970 jede Aktionsgemeinschaft mit KommunistInnen. Am 28. Februar 1972 faßt Brandt zusammen mit den Ministerpräsidenten von CDU/CSU und SPD den als ‘Radikalen-Erlaß’ bekanntgewordenen Beschluß, wonach Mitglieder als verfassungsfeindlich eingestufter Parteien oder Gruppierungen nicht im öffentlichen Dienst eingestellt werden dürfen. Zwischen 1971 und 1985 werden gegen 6.689 Menschen - fast ausnahmslos ‘Linke’ - Berufsverbote ausgesprochen. Für diesem Zeitraum können 2.639.058 geheimdienstliche Überprüfungen von BewerberInnen für den öffentlichen Dienst nachgewiesen werden. [382]
Aber auch sonst bleibt vieles beim alten. Fast alle Reformprojekte der sozialliberalen Koalition bleiben unvollendet: Neben der Bildungsreform, die von den KultusministerInnen der CDU-regierten Bundesländer, dem BVG und geringen finanziellen Spielräumen der Regierung gestoppt wird, ist hier vor allem der Grundlagenvertrag mit der DDR zu nennen. Dieses wird zwar 1973 vom BVG als verfassungskonform erkannt, zugleich aber stellt das Gericht fest, daß das Deutsche Reich in den Grenzen von 1937 fortbestehe und es die Aufgabe jeder westdeutschen Regierung bleibe, die ‘Wiedervereinigung’ anzustreben. Lediglich die Mittel, mit denen das versucht werde, könnten vielfältig sein. Auch die Spielräume zur Finanzierung der Reformvorhaben werden durch eine gegenläufige (Finanz)Politik von Bundesbank und dem von der Opposition beherrschten Bundesrat stark eingeschränkt. “So ist denn vielfältig dafür gesorgt worden, daß die Politik der sozialliberalen Koalition sich letztlich doch auf einen einzigen Zweck beschränkte, nämlich den Kapitalismus frisch, flexibel und appetitlich zu erhalten .”[383]

1.1.7 Das Ende der Reformversuche: Die Regierung Schmidt

Bei den Haushaltsberatungen im Mai 1972 wird deutlich, daß die sozialliberale Koalition ihre ohnehin nur aus 12 Sitzen bestehende Mehrheit verloren hat. Durch die von Brandt gestellte Vertrauensfrage und die Ablehnung durch die Mehrheit des Bundestages werden Neuwahlen ermöglicht, die am 12. November 1972 zu einem klaren Sieg der sozialliberalen Koalition führen. Erstmals seit 1949 ist die SPD mit 45,8% die stärkste Partei. Die CDU/CSU erhält nur 44,9%. Bereits nach einem Jahr Regierungszeit zeichnet sich 1973 die zweite große Wirtschaftskrise der BRD ab. [384] Dies und die Verschleißerscheinungen nach 4 Jahren Regierungszeit führen dazu, daß Brandt nach Bekanntwerden des Guillome-Spionagefalls im Mai 1974 als Kanzler zurücktritt. Sein Nachfolger wird Helmut Schmidt. Während dessen Kanzlerschaft werden nur noch solche Reformen durchgeführt, die weitgehend kostenneutral sind. Dazu gehört unter anderem die Novellierung des § 218 StGB. Aber auch diese Reform, deren Kernstück eine dreimonatige ‘Fristenregelung’ ist, innerhalb derer jede Frau selbst entscheiden darf, ob sie abtreiben will oder nicht, wird bereits 1975 durch ein BVG-Urteil zunichte gemacht. [385]
Bereits unter der Regierung Brandt begann eine verschärfte Repression gegen einen Teil der außerparlamentarischen Linken, [386] der - hervorgegangen aus der StudentInnenrevolte - seit 1970 unter den Namen Bewegung 2. Juni und Rote Armee Fraktion (RAF) den bewaffneten Kampf gegen den kapitalistisch-imperialistischen Staat BRD und seine Eliten führt. [387] Auch nachdem bereits 1972 die Gründungsgeneration der RAF entweder gefangengenommen oder von der Polizei erschossen worden war, kommt es zu zahlreichen Bankrauben, Anschlägen [388], und Entführungen von Spitzenpolitikern bzw. Wirtschaftsführern. Im September 1977 wird der Vorsitzende des Bundesverbandes der Deutschen Industrie und der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, [389] Hans Martin Schleyer, von der RAF entführt. Er soll gegen gefangene GenossInnen ausgetauscht werden. Dieselbe Forderung wird von den EntführerInnen eines gleichzeitig gekaperten Lufthansa-Jets mit bundesdeutschen UrlauberInnen gestellt, der zur Landung in der somalischen Hauptstadt Mogadischu gezwungen wird. Die Regierung Schmidt bleibt jedoch hart und lehnt das Ultimatum ab. Es kommt zur gewaltsamen Befreiung der Geiseln in der Lufthansa-Maschine durch ein paramilitärisches Kommando des Bundesgrenzschutzes (GSG9). Kurz darauf wird Schleyer erschossen im Kofferraum eines Autos aufgefunden; die RAF-Gefangenen Raspe, Baader und Ensslin sterben unter bis heute nicht geklärten Umständen in ihren Zellen in Stuttgart-Stammheim. Während dieser als ‘Deutscher Herbst’ bekanntgewordenen Phase wird neben der illegalen auch die legale Linke, die sich zu großen Teilen von den militärischen Aktionen der RAF distanziert, von massiver polizeilicher Repression und Kriminalisierung durch Staatsanwaltschaft und Gerichte heimgesucht. Mit eilig verabschiedeten Sondergesetzen und einer ständigen Ausweitung der polizeilichen Befugnisse versucht der Staat, die in der Bevölkerung weitgehend isolierte RAF zu zerschlagen. [390]

1.1.8 Massenproteste und neue soziale Bewegungen

Das Jahr 1977 ist allerdings auch das Jahr der großen Massendemonstrationen gegen die Atomkraftwerke in Brockdorf und Gorleben. 1979 demonstrieren über 150.000 Menschen gegen die Atompolitik der SPD-Bundesregierung. “Obwohl auch in der Vergangenheit Kundgebungen und Sternmärsche das Erscheinungsbild der politischen Linken geprägt hatten, ist es ihr tatsächlich erst jetzt gelungen, dabei größere Massen zu mobilisieren als die Rechte. (...) Diese Umschichtung des außerparlamentarischen Protestpotentials wurde zweifellos erst dadurch erreicht, daß dieses nun über den Bereich der traditionellen Linken hinausreichte .”[391] Allgemein setzt sich in großen Teilen der Bevölkerung seit Beginn der siebziger Jahre ein immer kritischeres Bewußtsein unter anderem in Fragen der Ökologie und der Rüstungspolitik durch. Auch die Frauenbewegung beginnt, Einfluß auf gesellschaftliche Auseinandersetzungen zu nehmen und die über Erziehung und anderer Normen vermittelten, geschlechtsspezifischen Rollen in Frage zu stellen. Thematisiert werden auch die in einer patriarchal-kapitalistischen Gesellschaftsordnung in besonderem Maße gegen Frauen gerichteten Unterdrückungsmechanismen. [392] Nicht zuletzt werden vor allem vom antikapitalistischen Teil der Frauenbewegung patriarchal-traditionalistische Strukturen der von Männern dominierten Linken angegriffen. [393]
In BürgerInneninitiativen, Selbsthilfegruppen und Lobbygruppen schließen sich auch viele bisher diskriminierte und benachteiligte Minderheiten - wie Behinderte, HeimbewohnerInnen, Alte, Homosexuelle - zusammen. Diese ‘neuen sozialen Bewegungen’ halten meist deutliche Distanz zu den Gewerkschaften und sind auch ansonsten mißtrauisch gegenüber “übergreifende[n], durch große Organisationen zu erkämpfende [n] Lösungen .”[394] Ab 1980 schließlich kommt es im Zusammenhang mit der geplanten Stationierung von erstschlagfähigen Pershing II- und Cruise Missile-Atomraketen zur größten Friedensbewegung in der Geschichte der Bundesrepublik.
1978 wird die von Ökologie-, Friedens- und Frauengruppen getragene Partei Die Grünen gegründet, die bereits 1979 erstmals in ein Länderparlament, die Bremer Bürgerschaft, einzieht. Eine Alternative Liste (AL) bzw. eine Grün-Alternatve Liste (GAL) zieht in das Berliner Abgeordnetenhaus (1981) bzw. die Hamburger Bürgerschaft (1982) ein. Auch in die Landtage von Baden-Württemberg (1980), Niedersachsen und Hessen (1982) werden die Grünen gewählt. [395] Die neue politische Partei, die sich zunächst noch als eine Mischform zwischen Partei und Bewegung versteht - mit einem Standbein in den Parlamenten und einem in den BürgerInnenbewegungen - beginnt rasch, die in den siebziger Jahren relativ starken Kräfte der außerparlamentarischen Bewegungen zu absorbieren und erneut in parlamentarische Bahnen zu lenken.


[324] Kühnl, R., Der deutsche Faschismus, S. 238.
[325] Vgl. ebenda, S. 264.
[326] Bei Kriegsende halten sich rund 8,5 Millionen ehemalige ZwangsarbeiterInnen aus allen von der Wehrmacht überfallenen Ländern Europas in Deutschland auf, vgl. Chronik der Deutschen, S. 929.
[327] “Die großen Konzerne aber erzielten Profite, wie sie nicht einmal das Kaiserreich ermöglicht hatte ”, Kühnl, R., Der deutsche Faschismus, S. 238.
[328] Vgl. Chronik der Deutschen, S. 928.
[329] Kühnl, R., Der deutsche Faschismus, S. 283.
[330] Vgl. ebenda, S. 283.
[331] Vgl. Informationen zur politischen Bildung, Bd. 232, S. 7 ff.
[332] Bereits am 12. Mai 1945 hatte der britische Premier Churchill an den neuen US-Präsidenten Truman telegrafiert: “Ein eiserner Vorhang ist vor ihrer Front niedergegangen .” Er warnt die USA ganz offen vor sowjetischen Expansionsgelüsten, vgl. ebenda, S. 8.
[333] Vgl. Chronik der Deutschen, S. 954.
[334] Vgl. Kap. C. IV.1.1.1 (Das Ende der DDR).
[335] Vgl. Kap. C. IV.1.4.3 (Leipzig-Connewitz).
[336] Vgl. Lehmann, H.G., Chronik der BRD, Anhang.
[337] Fülberth, G., Neubau oder Reparatur? in: Klamm, Heimlich und Freunde, S. 19.
[338] Bereits am 25. März 1954 hatte die Sowjetunion nach dem Scheitern der Berliner Außenministerkonferenz der vier Mächte die DDR als souveränen Staat anerkannt und formell weitgehend auf ihre Besatzungsrechte verzichtet. Die DDR wird allerdings noch bis in die siebziger Jahre lediglich von sozialistischen Ländern diplomatisch voll anerkannt werden, vgl. Chronik der Deutschen, S. 971.
[339] Ebenda, S. 977.
[340] Unter anderem vom Wehrmachts-General Hans Speidel .
[341] Vgl. Fülberth, G., Leitfaden durch die Geschichte der BRD, S. 28.
[342] Ebenda, S. 37.
[343] Vgl. Chronik der Deutschen, S. 983.
[344]. Möglicherweise wurden sogar bis zu 200.000 Verfahren eingeleitet, vgl. v. Brünneck, A., Politische Justiz gegen Kommunisten in der BRD, S. 241 ff. “Bei den politischen Delikten erreichten die Verurteilungen zwischen 1960 und 1966 nur 2,8 bis 4,3 % der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren (...) Die Intensität der Ermittlungen war damit, bezogen auf die Zahl der späteren Verurteilungen, bei politischen Delikten etwa fünfmal so hoch wie im Durchschnitt aller Delikte”, ebenda, S. 243.
[345] “Die Adenauer-Regierung nannte etwa 20 Organisationen der KPD, bzw. der KPD nahestehend, deren Mitgliedschaft mit einer Beschäftigung im Öffentlichen Dienst unvereinbar sei ”, Brückner, P., Ulrike Marie Meinhof, S. 21.
[346] Vgl. Ebenda, S. 27 ff.
[347] Ebenda, S. 30 ff.
[348] Giefer, R., T., Die Rattenlinie, S. 168.
[349] Der Leiter des US-Senatsuntersuchungsausschusses, Senator Kilgore, stellte noch Ende 1945 fest: “Es ist nicht wahr, daß die deutschen Großindustriellen sich erst im letzten Augenblick und halb gezwungen dem Nationalsozialismus angeschlossen haben. Sie waren von Anfang an seine begeisterten Förderer. Die Unterstützung seitens der deutschen Schwerindustrie und Hochfinanz ermöglichte den Nationalsozialisten die Machtergreifung. Die Umstellung der deutschen Wirtschaft auf die Kriegswirtschaft und die fieberhafte Rüstung zum Angriffskrieg erfogte unter der unmittelbaren Leitung der deutschen Industriellen .” Daß trotz dieser eindeutigen Aussagen kein Verantwortlicher aus Industrie und Hochfinanz vor einem west-alliierten Gericht zu nennenswerten Strafen verurteilt wurde, hängt unmittelbar mit dem Beginn des Kalten Krieges mit der Sowjetunion zusammen. Ein wirtschaftlich starkes Westdeutschland wurde als Bollwerk gegen den Kommunismus benötigt. Demgegenüber gingen die Sowjets in den von ihnen besetzten Gebieten wesentlich konsequenter gegen Kriegsverbrecher und Nazis vor, vgl. Schreiber, W.P., IG Farben, S. 151.
[350] Benannt nach dem damaligen Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Walter Hallstein.
[351] Chronik der Deutschen, S. 978.
[352] Dies geschieht in den folgenden Jahren unter anderem mit Cuba und Jugoslawien, vgl. Fülberth, G., Leitfaden durch die Geschichte der BRD, S. 34 ff.
[353] Spiegel Nr. 9, 23.2.70, S. 23.
[354] Fülberth, G., Leitfaden durch die Geschichte der BRD, S. 56 ff.
[355] Da zur Änderung des Grundgesetzes 2/3 der Stimmen des Bundestags benötigt werden, ist die CDU/CSU/FDP-Koalition auf SPD-Stimmen angewiesen.
[356] Kiesinger gehörte vor 1945 der NSDAP an.
[357] Brandt war vor 1945 als Antifaschist, der vor den Nazis ins schwedische Exil flüchten mußte.
[358] Fülberth, G., Leitfaden durch die Geschichte der BRD, S. 62 ff.
[359] Laut Duden ist ein Ordinarius ein “ordentlicher Professor an einer Hochschule.” Dazu schreibt Fülberth: “[An den Hochschulen] hatten in der Vergangenheit die Professoren - oder sogar nur ein Teil von ihnen, die [berufenen; d.V.] ‘Ordinarien’ - unter Ausschließung der Mitbestimmung anderer Gruppen die wichtigsten Entscheidungen treffen können”, Fülberth, G., Leitfaden durch die Geschichte der BRD, S.77.
[360] Ebenda, S. 50.
[361] Das Attentat auf einen der politischen Vordenker des SDS, Rudi Dutschke, im Jahre 1968 wurde durch eine beispiellose Diffamierungskampagne vor allem der BILD-Zeitung publizistisch vorbereitet, unverholen wurde in der Springer-Presse zu Formen der Selbstjustiz gegen die rebellischen StudentInnen und ihren ‘Anführer’ Dutschke aufgerufen.
[362] Pohrt, W., u.a., Die alte Straßenverkehrsordnung, S. 6.
[363] vgl. Lehmann, H.G., Chronik der BRD, S. 114 ff.
[364] Fülberth, G., Neubau oder Reparatur? in: Klamm, Heimlich und Freunde, S. 19.
[365] Die Tatsache, daß mehr Männer als Frauen an den Hochschulen studieren, wurde allerdings 1969 von der SPD noch nicht thematisiert, vgl. auch: SPD: Modell für ein demokratisches Bildungswesen, 1969, in: fzs, Reader zur Gesamthochschule, 1994, S. 65 ff.
[366] Hierzu sei angemerkt, daß sich modernisierungsfeindliche, undemokratische Hochschulen in jedem politischen System hemmend auf eine dynamische ökonomische Entwicklung auswirken. In den sozialistischen Ländern gab es ähnliche Probleme.
[367] Fülberth, G., Neubau oder Reparatur? in: Klamm, Heimlich und Freunde, S. 19.
[368] Die Gefördertenquote beträgt zunächst 45 %. Mit der Einführung eines Darlehen-Anteils im Jahre 1974 - der sich in den folgenden Jahren ständig zum Nachteil des Zuschuß-Anteils erhöhen wird - sinkt die Anzahl der Geförderten bis 1982 auf 37 %, vgl. AStA FH Düsseldorf, ASTA INFO Nr. 57, 30.10.95, S. 5 ff.
[369] Vgl. Beck, U., Risikogesellschaft, S. 128.
[370] Im Jahre 1995 beträgt der Anteil von Frauen bei C4-Professuren 4,8 %, bei C3-Professuren 8,5 % und beim sonstigen wissenschaftlichen Personal 22 % (in Nordrhein-Westfalen), vgl. Auskunft der Frauenbeauftragten im Wissenschaftsministerium NRW, Frau Bucklemünd, 6.11.95.
[371] Preuss-Lausitz, U., Aufstieg durch Bildung, in: Klamm, Heimlich und Freunde, S. 42.
[372] 1973 entschied das BVG, daß bei allen die Lehre betreffenden Entscheidungen ProfessorInnen einen ‘maßgebenden’ sowie bei Lehre und Forschung betreffenden Entscheidungen sogar einen ‘weitgehenden, ausschlaggebenden Einfluß’ haben müßten. Das führte in den meisten Hochschulen zur Wiederherstellung der absoluten ProfessorInnen-Mehrheit in allen Gremien. Das System der Drittel-Parität sah demgegenüber vor, daß alle drei an der Hochschule vertretenen Statusgruppen - StudentInnen, MitarbeiterInnen und ProfessorInnen - jeweils ein Drittel der Sitze in allen Gremien der Selbstverwalteten Hochschule besetzen, vgl. 1 BvR 424/71 und 325/72, Entscheidungen des BVG, Bd. 35 Nr. 10, S. 79 ff.
[373] Die “‘Gesamthochschulen’ sollten die Trennung von rein akademischer Forschung und Lehre einerseits, praxisnäherer Fachhochschulausbildung andererseits aufheben ”, Fülberth, G., Leitfaden durch die Geschichte der BRD, S. 78.
[374] Dies geschieht durch die Umwandlung von Fachoberschulen in Fachhochschulen.
[375] Vgl. MSB Spartakus, Hochschule... im Jahr 2000, S. 177 ff.
[376] Vgl. Kap. 3.2.1 (‘Neue Urbanität’) & 3.2.1 (‘Individualisierungsschub’ und ‘Fahrstuhl-Effekt’).
[377] Spiegel, Nr. 9, 23.2.70, S. 22.
[378] Vgl. Fülberth, G., Neubau oder Reparatur? in: Klamm, Heimlich und Freunde, S. 21.
[379] Ebenda, S. 19.
[380] Fülberth, G., Leitfaden durch die Geschichte der BRD, S. 72.
[381] Im Jahre 1969 exportiert die BRD immerhin Güter im Wert von 1,272 Mrd. Dollar in die RGW-Länder, den sog. ‘Interzonenhandel’ mit der DDR nicht eingerechnet, und hält damit die Spitzenposition vor allen anderen kapitalistischen Ländern, vgl. Fülberth, G., Neubau oder Reparatur? in: Klamm, Heimlich und Freunde, S. 19.
[382] Vgl. IMSF 42, Berufsverbote, S. 11.
[383] Fülberth, G., Neubau oder Reparatur? in: Klamm, Heimlich und Freunde, S. 28.
[384] Dazu kommt noch im selben Jahr der durch die Steigerung des Rohölpreises durch die OPEC ausgelöste ‘Ölschock’.
[385] Vgl. Fülberth, G., Neubau oder Reparatur? in: Klamm, Heimlich und Freunde, S. 29.
[386] Nach dem bereits 1968 einsetzenden Zerfallsprozeß der APO entstehen Anfang der Siebziger mehrere Strömungen: Neben den bewaffnet kämpfenden Gruppen sind dies vor allem verschiedene marxistisch-leninistische Partei- und Zirkelbildungen (z.B. KPD/ML, KB etc.), der marxistisch inspirierte Teil der Jusos und unorganisierte Antiautoritäre, die sogenannten ‘Spontis’.
[387] Vgl. RAF, Das Konzept Stadtguerilla, in: Pohrt, W., Die alte Straßenverkehrsordnung, S. 21-45.
[388] Z.B. auf das wegen seiner Funktion als Computer-Zentrale für die Flächenbombardements der US-Luftwaffe in Vietnam militärisch bedeutsame US-Hauptquartier in Frankfurt. Bei einem Bombenanschlag der RAF sterben dort am 11. Mai 1972 mehrere US-Offiziere und Soldaten.
[389] Während des Nationalsozialismus war Schleyer außerdem hoher SS-Offizier, der vermutlich als letzter ‘Kampfkommandant’ von Prag 1945 für ein Massaker an tschechischen ZivilistInnen verantwortlich war, vgl. Köhler, O., Der Kampfkommandant, in: Konkret, ohne Angabe.
[390] Vgl. Fülberth, G., Leitfaden durch die Geschichte der BRD, S. 93 ff.
[391] Ebenda, S. 98.
[392] Das wird vor allem bei den Auseinandersetzungen um den § 218 StGB deutlich, aber auch bei der ökonomischen (‘Leichtlohngruppen’, Diskriminierung bei der Jobvergabe usw.) und rechtlichen Ungleichbehandlung von Männern und Frauen.
[393] Wie zum Beispiel das oft gehörte ‘Argument’, die Unterdrückung von Frauen sei nur ein ‘Nebenwiderspruch’
[394] Fülberth, G., Leitfaden durch die Geschichte der BRD, S. 98.
[395] Ebenda, S. 101.


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