1. Entwicklungen im Deutschen Reich/ in der BRD
Am 30. Januar 1933 ernennt Reichspräsident v.
Hindenburg den Führer der NSDAP, Adolf Hitler, zum neuen
Reichskanzler. Damit beginnt in Deutschland eine Periode offenen
faschistischen Terrors, die erst mit der militärischen
Zerschlagung des Hitlerfaschismus durch die Alliierten Truppen am
8. Mai 1945 beendet wird. In den zwölf Jahren seiner Herrschaft
vernichtet der Nationalsozialismus nicht nur fast die gesamte
ArbeiterInnenbewegung und ihre Organisationen - SPD, KPD und
Gewerkschaften - ,er ersetzt auch die parlamentarische Demokratie
durch eine offene Diktatur . “Die Illusion [eines
großen Teils der Mittelschichten, die die NSDAP gewählt hatten;
d.V.] , der Faschismus werde die Position des Mittelstandes
festigen und eine ständische Wirtschafts- und
Gesellschaftsordnung herstellen, wurde nun rasch zerstört. Die
einzige noch bestehende und jetzt absolut herrschende
gesellschaftliche Macht war nun das große Kapital, dessen
Vertreter zusammen mit den Führern der faschistischen Partei die
Machtzentren besetzt hielten und den politischen Kurs des Systems
festlegten. ”[324] Der
Nationalsozialismus tastet - trotz aller antikapitalistischen
Rhetorik - weder die Besitzstände der ländlichen
GroßgrundbesitzerInnen noch die der Großindustrie oder des
Bankkapitals an. Im Gegenteil ermöglichen die forcierte
Rüstungspolitik der Nationalsozialisten sowie die ab 1939 von
Deutschland geführten imperialistischen Eroberungskriege in ganz
Europa den deutschen Konzernen die Realisierung gigantischer
Profite. So erwirtschaftet z.B. der im Rüstungsbereich stark
engagierte Krupp-Konzern noch 1933/34 Gewinne in Höhe von 6,65
Millionen Reichsmark (RM), 1938/39 - die Vorbereitungen für den
lange geplanten Krieg laufen auf Hochtouren - sind es bereits
21,11 Millionen Reichsmark (RM). [325]
Trotz kriegsbedingter Zerstörungen befindet sich die Kapazität
der meisten deutschen Großunternehmen im Mai 1945 in etwa auf
dem Stand des Jahres 1939. Enorme Gewinne erwirtschaften
zahlreiche deutsche Unternehmen außerdem durch die
millionenfache Zwangsarbeit vor allem von KZ-Häftlingen und
Kriegsgefangenen [326], der
hunderttausende von Menschen zum Opfer fallen. [327] Am Ende des Zweiten Weltkrieges liegt ein
Großteil Europas in Trümmern. Am schlimmsten sind die
Zerstörungen in der Sowjetunion, wo die deutschen Truppen eine
‘Strategie der verbrannten Erde’ betreiben. Durch den
faschistischen Überfall wurden allein in der Sowjetunion 20,6
Millionen Menschen, davon über 7 Millionen ZivilistInnen,
getötet. [328] In den von den
Nationalsozialisten überall in Europa errichteten
Konzentrations- und Vernichtungslagern werden viele Millionen
Menschen ermordet, darunter ungefähr sechs Millionen Menschen
jüdischen Glaubens, über 200.000 Sinti und Roma, tausende
KommunistInnen und Homosexuelle. Ein bedeutender Teil der ‘arbeitsfähigen’
KZ-Häftlinge wird dabei - in enger “Kooperation zwischen
der SS und der Industrie ”[329]
- zur Zwangsarbeit vor allem in der Rüstungsindustrie eingesetzt
und muß dort unter entsetzlichen Bedingungen arbeiten. Die
meisten Häftlinge überleben diese ‘Vernichtung durch Arbeit’
nicht. [330]
Die Alliierten der Anti-Hitler-Koalition - die
Sowjetunion, die USA, Großbritannien und Frankreich -
diskutieren bereits auf der Konferenz von Teheran (1943) über
den als ‘Morgenthau-Plan’ bekanntgewordenen Vorschlag aus dem
US-Finanzministerium, der die Aufteilung Deutschlands in
verschiedene Zonen unter alliierter Kontrolle, Gebietsabtretungen
an Frankreich und Polen sowie die Vernichtung der gesamten
deutschen Industriekapazitäten vorsieht. Dieser Plan findet
jedoch keine Mehrheit. Schließlich wird 1945 auf der Konferenz
von Potsdam der endgültige Teilungsplan für das besiegte
Deutsche Reich beschlossen, der die Gebietsabtretungen an Polen
sowie die Grenzen der Besatzungszonen der vier alliierten
Siegermächte festlegt. [331]
Bereits im Jahre 1945 endet die Zusammenarbeit zwischen den drei
westlichen Alliierten und der Sowjetunion. [332] Mit dem Beginn des ‘Kalten Krieges’
wird auch die Teilung Deutschlands in drei westliche und eine
sowjetische Besatzungszone besiegelt, allerdings unter starkem
Druck der westlichen Alliierten, die eine Vereinigung der vier
Zonen - wie von Stalin zuletzt am 10. März 1952 vorgeschlagen -
nicht zulassen wollen. Die Spaltung Deutschlands wird mit der
Verkündung einer separaten Währungsreform in den drei Westzonen
am 18. Juni 1948 manifest. Am 24. Mai 1949 tritt das einen Tag
zuvor vom Parlamentarischen Rat verkündete Grundgesetz (GG) der
Bundesrepublik Deutschland (BRD) in Kraft. Daraufhin wird am 7.
Oktober 1949 mit der Verabschiedung einer Verfassung in der
sowjetischen Besatzungszone die Deutsche Demokratische Republik
(DDR) gegründet. [333]
Da selbst eine kurze Darstellung der Geschichte der DDR von 1949
bis 1989 den Rahmen dieser Arbeit (endgültig?) sprengen würde,
beschränken wir uns im folgenden auf die Darstellung der
Geschichte der BRD. Allerdings sei hier auf einige Anmerkungen
zum Ende des Staates DDR 1989/90 [334]
sowie zur Wohnungssituation in der DDR [335] hingewiesen.
Bei den Wahlen zum ersten Deutschen Bundestag am
14. August 1949 erhält die neugegründete Partei CDU mit 31% den
höchsten Stimmenanteil, die zuvor favorisierte SPD erzielt
lediglich 29,2% der Stimmen. Zum ersten Bundeskanzler der BRD
wird mit knapper Mehrheit der CDU-Vorsitzende in der britischen
Zone, Konrad Adenauer, gewählt. Auch die KPD ist - mit einem
Stimmenanteil von 5,7% - noch bis zu den Bundestagswahlen von
1953 im Parlament vertreten. [336]
Adenauer verfolgt ein striktes Konzept der Westeinbindung der
BRD. Seine Strategie ist es, “durch Integration der
Bundesrepublik in ein starkes militärisches Bündnis die
Sowjetunion und Polen zur Aufgabe ihrer im zweiten Weltkrieg
erreichten Positionen zu zwingen und einen Anschluß der DDR an
die kapitalistische Bundesrepublik zu erreichen ”.[337] Die Politik der
Bundesregierung ist also, neben des angestrebten Anschlusses der
DDR, auf eine Revision der polnischen Westgrenze ausgerichtet.
Die Wiederherstellung eines kapitalistischen Staates in den
Grenzen von 1937 bleibt mindestens bis zum Abschluß der
Ostverträge 1970 politische Maxime der jeweiligen Bonner
Regierung. Aus diesem Grund lehnt Adenauer mit Unterstützung
durch die Regierungen Frankreichs, Großbritanniens und der USA
alle Vereinigungs-Angebote aus Moskau oder Ostberlin ab. Bereits
am 23. Oktober 1954 wird die BRD in das 1949 gegründete
westliche Militärbündnis North Atlantic Treaty Organisation (NATO)
aufgenommen. Am 5. Mai 1955 endet mit der Ratifizierung des ‘Deutschlandvertrages’
die Besatzungszeit in den drei Westzonen. [338] Die BRD ist von nun an (teil)souverän,
allerdings besitzen die Militärbefehlshaber der drei Westmächte
weiterhin das Recht, “bei äußerem und innerem Notstand
(...) die Regierungsgewalt zu übernehmen .”[339] Nur ein Jahr später, am 6.
März 1956, wird mit der Gründung der Bundeswehr die bereits ab
1948 fast ausschließlich von ehemaligen Wehrmachtsoffizieren [340] geleitete Wiederbewaffnung
durch eine Grundgesetzänderung (mit den Stimmen der SPD)
abgeschlossen. In der westdeutschen Bevölkerung führt die
Remilitarisierungspolitik Adenauers bereits seit Anfang der
fünfziger Jahre zu heftigen Protesten. Bei einer Demonstration
gegen die Wiederbewaffnung in Essen wird 1952 das KPD-Mitglied
Philipp Müller von der Polizei erschossen. [341] Nachdem der seit 1956 amtierende
Verteidigungsminister Franz Josef Strauß (CSU) die Ausrüstung
der Bundeswehr mit atomaren Gefechtsfeldwaffen gefordert hat,
kommt es in der westdeutschen Öffentlichkeit erneut zu massiven
Protesten. “Die Gegenwehr erhielt Anfang 1958 Züge einer
Massenbewegung. An ihr beteiligten sich SPD, DGB und (am Rande)
FDP durch die Gründung der ‘Aktion Kampf dem Atomtod’ -
offensichtlich auch in der Absicht der Kanalisierung von bereits
vorhandenem Protest .”[342]
An diese Massenmobilisierung anknüpfend, findet 1960 der erste
‘Ostermarsch der AtomwaffengegnerInnen’ statt, von dem sich
SPD und DGB distanzieren. Allerdings kann dadurch nicht die
Teilnahme von etlichen SozialdemokratInnen und
GewerkschafterInnen verhindert werden, die in den folgenden
Jahren, zusammen mit parteilosen SozialistInnen, christlichen
Gruppen, KommunistInnen und bürgerlichen PazifistInnen -
bundesweit mehrtägige Ostermärsche durchführen.
Das außen- wie innenpolitische Klima der Adenauer-Zeit ist
geprägt von Antikommunismus und einer starken polizeilichen und
gerichtlichen Repression gegen linke Gruppierungen und Parteien.
Das Bundesverfassungsgericht (BVG) entspricht am 17. August 1956
dem Antrag der Bundesregierung, die Verfassungswidrigkeit der KPD
festzustellen. [343] Dies hat
zur Folge, daß die Partei - wie bereits 1954 die
Jugendorganisation Freie Deutsche Jugend (FDJ) - verboten wird.
Büros und Zeitungen der KPD werden geschlossen und ihre
Mitglieder entweder verhaftet oder gezwungen, ihre Tätigkeit
künftig in der Illegalität auszuüben. Zwischen 1951 und 1968
werden nach vorsichtigen Schätzungen über 125.000
Ermittlungsverfahren [344]
gegen KommunistInnen eingeleitet und unzählige Berufsverbote
gegen Menschen ausgesprochen, die verdächtigt werden, der
illegalen KPD anzugehören bzw. politische Kontakte zur DDR zu
unterhalten. [345] Schon die
Organisierung einer Jugendfreizeit in der DDR kann eine
Verhaftung und Verurteilung zur Folge haben. [346]
Zur Schilderung der restaurativen und repressiven
innenpolitischen Tendenzen im Westdeutschland der fünfziger
Jahre - die nicht nur gegen KommunistInnen gerichtet sind - sei
hier eine Passage aus Peter Brückners 1976 erschienener
Meinhof-Biografie zitiert: “Wer den für die Restauration
wesentlichen Elementen der Regierungspolitik und ihren
Verfechtern nicht zustimmte, galt entweder als Dummkopf oder als
(halber) Verbrecher. (...) [Diese Diffamierungen] trafen:
die SPD - ob nun wirklich noch oppositionell oder schon nicht
mehr -, die Gewerkschaften, linke und liberale Intellektuelle,
Studenten, Journalisten, Redakteure und Schriftsteller.
Gleichschaltungs-Tendenzen im Nachrichtenwesen wurden (...) schon
in den ersten Jahren der Bundesrepublik spürbar (...), aber erst
gegen Ende des Jahrzehnts begannen diese
Gleichschaltungs-Tendenzen (...) das Gesicht der ‘öffentlichen
Meinung’ zu bestimmen. (...) Eine heilige Allianz von
Ordnungsmächten: Regierung, Kapital, Katholizismus, verbündet
mit der kleinbürgerlichen (und öfters nationalistischen)
Mentalität in breiten Bevölkerungsschichten, sorgte für die
Durchdringung des Landes mit Tabus, die nicht nur die freie
Gestaltung des geistigen und kulturellen, sondern auch die
Entfaltung des politischen Lebens einengten und bedrohten (und,
als eine latente Gewaltform bürgerlicher Herrschaft, bis in die
zwischenmenschlichen, nachbarlichen Beziehungen hinein wirksam
wurden). ”[347]
Hierbei spielen natürlich die Kontinuität des faschistischen
Deutschlands, die in Gestalt von Personen, Gesetzen,
wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Strukturen in die
BRD hineinreichen, eine entscheidende Rolle. Die Bundeswehr wird
von Wehrmachts- und SS-Offizieren aufgebaut. Auch der neue
westdeutsche Geheimdienst, der Bundesnachrichtendienst (BND),
wird mit US-Hilfe vom ehemaligen Leiter der Abteilung ‘Fremde
Heere Ost’ im Generalstab der Deutschen Wehrmacht, Reinhard
Gehlen, und seiner Truppe aus hochrangigen SS- und
Wehrmachtsoffizieren aufgebaut. Über Gehlen sagt der renommierte
Sowjetspezialist im amerikanischen Außenministerium, Arthur M.
Cox: “Gehlen hatte enormen Einfluß im Krieg. Er war einer
der Hauptplaner der Operation Barbarossa, der Nazi-Invasion in
der Sowjetunion. Er war Hitlers Geheimdienstchef für die
Ostfront. Er war also ein unerhört einflußreicher Mann im Krieg
und mitverantwortlich für den Tod von Millionen sowjetischer
Bürger .”[348] Gehlen,
der bis 1956 Chef der ‘Organisation Gehlen’ und dann bis 1968
Präsident des BND sein wird, wird nie bei den Nürnberger
Kriegsverbrecherprozessen angeklagt. Nicht zur Verantwortung
gezogen werden ebenfalls unzählige hohe Nazifunktionäre und
SS-Offiziere, die Kriegsverbrechen und Massenmorde verübt
hatten, alle Nazirichter - verantwortlich für abertausende von
Todesurteilen gegen politische Gegner - oder auch die
Firmenleitungen der IG Farben, des Krupp-Konzerns und anderen,
die Krieg und Massenvernichtung mit vorbereitet und von ihnen
profitiert haben. [349]
Außenpolitische Maxime ist seit 1955 die
Hallstein-Doktrin [350], in
der die Bundesregierung die Aufnahme normaler diplomatischer
Beziehungen mit der Sowjetunion mit deren Anteil an der
Viermächte-Verantwortung für ganz Deutschland begründet.
Gleichzeitig wird erklärt, die ‘Sowjetische Besatzungszone’
sei kein selbständiger Staat. Deshalb betrachte “die
Bundesregierung auch künftig die Aufnahme diplomatischer
Beziehungen mit der ‘DDR’ durch dritte Staaten als einen
unfreundlichen Akt (...), da er geeignet wäre, die Spaltung
Deutschlands zu vertiefen .”[351]
Die Bundesregierung besteht weiterhin auf ihrem
Alleinvertretungsanspruch für ganz Deutschland und sanktioniert
diejenigen Länder, die diplomatische Beziehungen zur DDR
aufnehmen, mit dem Abbruch der diplomatischen und
wirtschaftlichen Beziehungen. [352]
Erst im Februar 1970 wird der Außenminister der sozial-liberalen
Koalition, Walter Scheel (FDP), erklären: “Die
Hallstein-Doktrin ist tot .” [353]
Im Oktober 1963 wird Ludwig Erhard der Nachfolger
Adenauers als Bundeskanzler. Es kommt zur Unterzeichnung von
ersten Abkommen über Besuche in der DDR zwischen dem
sozialdemokratisch geführten Westberliner Senat und der
Ostberliner Regierung. Die vom SPD-Politiker Egon Bahr
vorgeschlagene Strategie des ‘Wandels durch Annäherung’
trägt erste Früchte.
Trotz des bereits 1964 absehbaren Endes des positiven
Konjunkturverlaufs hält Ludwig Erhard “einerseits an seinem
Modell der ‘freien’ oder ‘sozialen’ Marktwirtschaft fest,
zugleich war absehbar, daß das ‘freie Spiel der Kräfte’
nicht imstande sein werde, die Konzentration auf vordringliche
Projekte des Infrastruktur-Ausbaus zu gewährleisten .”[354] Das Ende der seit 1949
währenden CDU-Regierung kündigt sich an. Bei der Diskussion um
die Notstandsgesetze macht die SPD 1965 deutlich, daß sie nur um
den Preis einer Regierungsbeteiligung zusammen mit der bisherigen
Regierungskoalition stimmen würde. [355] Zwar gewinnen die bisherigen
Regierungsparteien die Wahlen im September 1965 noch einmal mit
klarer Mehrheit, aber die 1966 beginnende Wirtschaftskrise läßt
das Bündnis schon nach kurzer Zeit auseinanderbrechen: Die FDP
verläßt in diesem Jahr die Regierung, weil sie geplante
Steuererhöhungen nicht mittragen will. So kommt es im Dezember
1966 zur Bildung der ‘Großen Koalition’ unter Kurt Georg
Kiesinger [356] (CDU).
Vizekanzler und Außenminister wird Willy Brandt [357] (SPD).
Im Mai 1969 verabschieden die Fraktionen von CDU/CSU und die
Mehrzahl der SPD-Abgeordneten die grundgesetzändernden
Notstandsgesetze, mit denen im ‘Verteidigungsfall’ sowie bei
einem ‘inneren Notstand’ Grundrechte massiv eingeschränkt
bzw. aufgehoben werden können. Vor allem die
quasi-diktatorischen Vollmachten der Bundesregierung bei einem
‘inneren Notstand’ - etwa bei der ‘Bekämpfung
organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer’ -
stößt auf massiven Protest der Außerparlamentarischen
Opposition (APO).
“Diese erhält während der großen Koalition zunehmenden
Einfluß. Zu ihren Kernen gehörte der Sozialistische Deutsche
Studentenbund (SDS). Seit 1967 gewann in dieser Organisation eine
Richtung die Mehrheit, welche nicht ausschließlich die
Herrschaft der Kapitalistenklasse, sondern alle Staatlichkeit,
verinnerlichte psychische Zwänge und die Manipulation der
Massenmedien in der Bundesrepublik und Westberlin, insbesondere
der Erzeugnisse des Axel-Springer-Pressekonzerns, zur Ursache von
Unterdrückung erklärte.” [358]
Auch die autoritären, undemokratischen Ordinarienuniversitäten [359] sowie der seit 1965 von den
USA in Indochina eskalierte Krieg werden zu
Kristallisationspunkten des außerparlamentarischen Protestes,
vor allem an den Hochschulen. Bereits 1960/61 war es zum Bruch
zwischen der SPD und ihrer StudentInnenorganisation SDS gekommen.
Der SDS “bekämpfte den Anpassungskurs der SPD-Führung und
legte zunehmend Wert darauf, daß in seinen Reihen der Marxismus
als Instrument der Gesellschaftsanalyse Geltung erhielt .”[360]
Am 2. Juni 1967 wird der Student Benno Ohnesorg bei einer
Demonstration gegen den Besuch des Schahs von Persien in Berlin
von einem Polizisten durch einen Schuß in den Hinterkopf
getötet. Schon seit Beginn der ersten Aktionen der APO hatte vor
allem die rechte Springer-Presse gegen die Protestierenden
gehetzt, [361] verschärfte
die Polizei die Repression und knüppelte mit immer größerer
Regelmäßigkeit und Brutalität Demonstrationen und ‘happenigs’
zusammen. “Auch fromme Christen grübelten allmählich, daß
es zwar eine Sache sei, auch noch die andere Wange hinzuhalten,
daß aber selbst Jesus nie gepredigt hat: laß die Demonstranten
jede Woche einmal von der Polizei verhauen. Vom Staat und seinen
Vollzugsorganen auf’s Anschaulichste darüber belehrt, daß in
der Politik nicht nur Argumente zählen, dachten nun viele
Demonstranten darüber nach, wie es zu verhindern sei, daß man
stets ein duldendes Opfer der herrschenden, vorgefundenen Gewalt
werde .”[362] Ihren
Höhepunkt erreichen die Proteste im Jahr 1968. Nach dem Attentat
auf Rudi Dutschke blockieren DemonstrantInnen am Karfreitag und
Ostermontag in mehreren Städten die Auslieferung der
BILD-Zeitung, etliche Lieferwagen des Springer-Konzern werden in
Brand gesteckt. Es kommt zu schweren Zusammenstößen zwischen
DemonstrantInnen und Polizei, bei denen ein Demonstrant und ein
Fotoreporter sterben. Von jetzt an wird die ‘Gewaltfrage’
stets im Zentrum der Auseinandersetzungen innerhalb der linken
außerparlamentarischen Bewegungen in der BRD bleiben.
Am 5. März 1969 wählt die Bundesversammlung mit
den Stimmen von SPD und FDP den SPD-Kanditaten und ehemaligen
Justizminister der Großen Koalition, Gustav Heinemann, zum
vierten Bundespräsidenten der BRD. Heinemann spricht bei seiner
Amtsübernahme von einem 'Stück Machtwechsel' und fordert 'mehr
Demokratie', innenpolitische Reformen, Abrüstung und
Verständigung mit den östlichen Nachbarn.
Bei den Wahlen zum 6. Bundestag am 28. September 1969 bleiben
CDU/CSU zwar die stärkste Partei, die SPD überspringt
allerdings erstmalig die 40%-Hürde und vereinbart mit der FDP
eine sozialliberale Regierungskoalition. Willy Brandt, der am 21.
Oktober 1969 zum Bundeskanzler gewählt wird, löst damit eine
über 20 Jahre andauernde CDU/CSU-Herrschaft ab [363].
Brandt tritt das Kanzleramt 1969 mit dem vielbeachteten Slogan
‘Mehr Demokratie wagen’ an. Schon lange hatten “die
Sozialdemokraten die Aufhebung sozialer Ungleichheit durch die
Schaffung umfassender Bildungsmöglichkeiten für alle gefordert .”[364] Das verknöcherte,
undemokratische Bildungssystem, das vor allem Frauen [365] und ArbeiterInnenkinder
benachteiligt, soll reformiert werden. Nicht nur der Protest der
StudentInnenbewegung beschleunigt den Strukturwandel im Schul-
und Hochschulwesen: die modernisierungfeindlichen und
konservativen Hochschulen sind längst zu einem Hemmschuh für
eine weitere dynamische kapitalistische Entwicklung geworden. [366] Bereits seit Mitte der
sechziger Jahre warnten deshalb auch konservative Vordenker vor
einer drohenden ‘Bildungskatastrophe’ und forderten massive
staatliche Investitionen, ohne die es bald zu wenig
IngenieurInnen und LehrerInnen gebe. “So schienen ein sozial
und humanistisch motivierter Emanzipationsanspruch und die
Interessen an Reparaturen der Infrastruktur der kapitalistischen
Gesellschaft zeitweise ein Bündnis miteinander einzugehen .”[367] Tatsächlich verändert
sich in den folgenden Jahren einiges an den Schulen und
Hochschulen der BRD. 1971 wird das
Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) verabschiedet, das
eine einkommensabhängige Förderung von SchülerInnen und
StudentInnen in Form eines Vollzuschusses vorsieht. [368] Auch die von der CDU heftig
bekämpfte Gesamtschule - in der die Kinder nicht sofort nach der
Grundschule angeblich ihren ‘Begabungen’ entsprechenden einer
der drei Schultypen zugeordnet werden - symbolisiert den
Reformwillen der beginnenden Siebziger. Auch die Situation von
Mädchen und Frauen an Schulen und Hochschulen verbessert sich
seit Mitte der sechziger Jahre - zumindest, was die Quantität
betrifft. Liegt die Quote der Studienanfängerinnen noch 1960 bei
25%, sind es 1970 bereits 34% und 1983 immerhin 43%. [369] Demgegenüber steht jedoch
bis heute ein unverhältnismäßig geringer Anteil von
Professorinnen, weiblichen Lehrbeauftragten und im Mittelbau
angestellten Frauen. [370]
Allerdings veränderte sich für die ArbeiterInnenkinder, für
die die sozialdemokratischen Reformen in erster Linie gedacht
sein sollten, nicht viel. “Bei etwas über 40% Arbeitern
gemessen an der Gesamtbevölkerung ist der Anteil ihrer Kinder im
Gymnasium zwischen 1972 und 1982 von 6% auf 11% gestiegen - und
geht seither wieder leicht zurück .”[371] Und die Forderung nach mehr studentischer
Mitbestimmung, die an einigen Hochschulen zum System der
drittelparitätisch besetzten Hochschulgremien geführt hatte,
wird durch das BVG-Urteil vom 29. Mai 1973 wieder
zurückgedrängt. [372]
Auch andere Reformen, wie die Einführung der Gesamthochschule
(GHS), bleiben stecken. Dieser neue Hochschultyp, der die
Verbindung zwischen den ebenfalls neuen Fachhochschulen (FH) und
den Universitäten darstellt [373],
wird zu Beginn der siebziger Jahre von allen - auch konservativen
- BildungspolitikerInnen gefordert, wenn auch z.T. in sehr
unterschiedlicher Form. In den CDU-regierten Bundesländern wird
das Modell jedoch sehr schnell fallengelassen. Letztendlich
werden lediglich fünf GHS in zwei SPD-regierten Bundesländern
gegründet: In Hessen (Kassel 1971) und NRW (Essen, Duisburg,
Paderborn und Siegen 1972). Durchgesetzt hat sich das Modell der
Fachhochschulen als höhere (wissenschaftliche) Stufe der
höheren Fachschulen für Sozialpädagogik, Werkkunstschulen,
IngenieurInnenschulen etc.. Die bisherige Schulbildung wird in
den tertiären Bereich (Hochschulen) gehoben. [374] Da es zur FH mehr Hochschulzugänge gibt
- etwa die FH-Reife an Realschulen und Gymnasien, Qualifikation
über berufliche Bildung oder den 2. Bildungsweg - wird damit der
tertiäre Bereich auch sozial geöffnet. [375]
Insgesamt kann also auch konstatiert werden, daß durch den von
der sozialliberalen Koalition geförderten ‘Bildungsschub’
viel mehr Menschen - vor allem aus unteren sozialen Schichten -
die Möglichkeit erhalten, ihre Schullaufbahn mit dem Abitur
abzuschließen bzw. über die Öffnung des tertiären Bereichs -
vor allem durch den neuen Typ der FH - ein regelrechter ‘run’
auf die Hochschulen einsetzt. Das in der gesamten Gesellschaft
ansteigende Bildungsniveau hat Auswirkungen auf sich verändernde
Lebensstile und gesellschaftliche Normen. [376]
Unter dem SPD-Kanzler Willy Brandt wird auch in der Ostpolitik
eine Wende eingeleitet. Im März 1970 reist Brandt als erster
Regierungschef der BRD auf Einladung des ostdeutschen
Ministerpräsidenten Willi Stoph in die DDR. In einem Kommentar
für den Spiegel schreibt der damalige Journalist und
SPD-Politiker Günter Gaus, der von 1973 bis 1981 die Ständige
Vertretung der BRD in Ostberlin leiten wird, im Vorfeld dieser
Reise: “Ohne Täuschung und Selbsttäuschung aber gehört zu
der jetzigen Bonner Ostpolitik die Einsicht, daß am Ende die
unmißverständliche Anerkennung der DDR steht - eine
Anerkennung, an deren Eindeutigkeit dann nur noch berufsmäßige
Exegeten des Völkerrechts akademische Zweifel haben können.
Wann dieser Punkt erreicht sein wird, läßt sich noch nicht
sagen: Aber die Bundesregierung muß auf ihn vorbereitet sein,
oder ihre Ostpolitik ist unsolide .”[377]
Noch im August und Dezember desselben Jahres schließen die BRD
und die Sowjetunion bzw. die Volksrepublik Polen Verträge über
die Unverletzbarkeit der Staatsgrenzen - einschließlich der
Oder-Neiße-Linie, der Westgrenze Polens, und der Grenze zwischen
BRD und DDR. [378] Der
berühmte Kniefall Brandts vor dem Mahnmal im Warschauer Ghetto
während seiner Polenreise am 7. Dezember 1970 “symbolisierte
die sittlichen Perspektiven der Ostpolitik, die er seit seiner
Regierungsübernahme im Oktober 1969 durchzusetzen bemüht war .”[379] Schließlich, am 21.
Dezember 1972, kommt es zur Unterzeichnung des
Grundlagenvertrages zwischen BRD und DDR, in dem die
Unverletzlichkeit ihrer Grenzen und ein gegenseitiger
Gewaltverzicht festgelegt werden. [380]
Diese neue Ostpolitik ist jedoch in erster Linie die Anerkennung
eines politischen und militärischen Kräfteverhältnisses in
Europa, das von den USA bereits seit Anfang der sechziger Jahre
als ‘Patt’ anerkannt wird. Die Konfrontationspolitik der
CDU/CSU, die stets auf eine politische und/oder militärische
Zurückdrängung des kommunistischen Einflusses in Europa
ausgerichtet war, ist endgültig gescheitert - der Kalte Krieg
ist vorbei. Außerdem drängt die in Osteuropa stark engagierte
Exportindustrie der BRD nach Erleichterungen vor allem im
innerdeutschen Handel. [381]
Um jeden Verdacht zu zerstreuen, die SPD plane durch die
Zusammenarbeit mit KommunistInnen und anderen linken ‘Verfassungsfeinden’,
das Land in die Einflußsphäre des sozialistischen Lagers
abdriften zu lassen, verbietet der Parteirat der SPD bereits im
November 1970 jede Aktionsgemeinschaft mit KommunistInnen. Am 28.
Februar 1972 faßt Brandt zusammen mit den Ministerpräsidenten
von CDU/CSU und SPD den als ‘Radikalen-Erlaß’
bekanntgewordenen Beschluß, wonach Mitglieder als
verfassungsfeindlich eingestufter Parteien oder Gruppierungen
nicht im öffentlichen Dienst eingestellt werden dürfen.
Zwischen 1971 und 1985 werden gegen 6.689 Menschen - fast
ausnahmslos ‘Linke’ - Berufsverbote ausgesprochen. Für
diesem Zeitraum können 2.639.058 geheimdienstliche
Überprüfungen von BewerberInnen für den öffentlichen Dienst
nachgewiesen werden. [382]
Aber auch sonst bleibt vieles beim alten. Fast alle
Reformprojekte der sozialliberalen Koalition bleiben unvollendet:
Neben der Bildungsreform, die von den KultusministerInnen der
CDU-regierten Bundesländer, dem BVG und geringen finanziellen
Spielräumen der Regierung gestoppt wird, ist hier vor allem der
Grundlagenvertrag mit der DDR zu nennen. Dieses wird zwar 1973
vom BVG als verfassungskonform erkannt, zugleich aber stellt das
Gericht fest, daß das Deutsche Reich in den Grenzen von 1937
fortbestehe und es die Aufgabe jeder westdeutschen Regierung
bleibe, die ‘Wiedervereinigung’ anzustreben. Lediglich die
Mittel, mit denen das versucht werde, könnten vielfältig sein.
Auch die Spielräume zur Finanzierung der Reformvorhaben werden
durch eine gegenläufige (Finanz)Politik von Bundesbank und dem
von der Opposition beherrschten Bundesrat stark eingeschränkt. “So
ist denn vielfältig dafür gesorgt worden, daß die Politik der
sozialliberalen Koalition sich letztlich doch auf einen einzigen
Zweck beschränkte, nämlich den Kapitalismus frisch, flexibel
und appetitlich zu erhalten .”[383]
Bei den Haushaltsberatungen im Mai 1972 wird
deutlich, daß die sozialliberale Koalition ihre ohnehin nur aus
12 Sitzen bestehende Mehrheit verloren hat. Durch die von Brandt
gestellte Vertrauensfrage und die Ablehnung durch die Mehrheit
des Bundestages werden Neuwahlen ermöglicht, die am 12. November
1972 zu einem klaren Sieg der sozialliberalen Koalition führen.
Erstmals seit 1949 ist die SPD mit 45,8% die stärkste Partei.
Die CDU/CSU erhält nur 44,9%. Bereits nach einem Jahr
Regierungszeit zeichnet sich 1973 die zweite große
Wirtschaftskrise der BRD ab. [384]
Dies und die Verschleißerscheinungen nach 4 Jahren
Regierungszeit führen dazu, daß Brandt nach Bekanntwerden des
Guillome-Spionagefalls im Mai 1974 als Kanzler zurücktritt. Sein
Nachfolger wird Helmut Schmidt. Während dessen Kanzlerschaft
werden nur noch solche Reformen durchgeführt, die weitgehend
kostenneutral sind. Dazu gehört unter anderem die Novellierung
des § 218 StGB. Aber auch diese Reform, deren Kernstück eine
dreimonatige ‘Fristenregelung’ ist, innerhalb derer jede Frau
selbst entscheiden darf, ob sie abtreiben will oder nicht, wird
bereits 1975 durch ein BVG-Urteil zunichte gemacht. [385]
Bereits unter der Regierung Brandt begann eine verschärfte
Repression gegen einen Teil der außerparlamentarischen Linken, [386] der - hervorgegangen aus
der StudentInnenrevolte - seit 1970 unter den Namen Bewegung
2. Juni und Rote Armee Fraktion (RAF) den bewaffneten
Kampf gegen den kapitalistisch-imperialistischen Staat BRD und
seine Eliten führt. [387]
Auch nachdem bereits 1972 die Gründungsgeneration der RAF
entweder gefangengenommen oder von der Polizei erschossen worden
war, kommt es zu zahlreichen Bankrauben, Anschlägen [388], und Entführungen von
Spitzenpolitikern bzw. Wirtschaftsführern. Im September 1977
wird der Vorsitzende des Bundesverbandes der Deutschen Industrie
und der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, [389] Hans Martin Schleyer, von
der RAF entführt. Er soll gegen gefangene GenossInnen
ausgetauscht werden. Dieselbe Forderung wird von den
EntführerInnen eines gleichzeitig gekaperten Lufthansa-Jets mit
bundesdeutschen UrlauberInnen gestellt, der zur Landung in der
somalischen Hauptstadt Mogadischu gezwungen wird. Die Regierung
Schmidt bleibt jedoch hart und lehnt das Ultimatum ab. Es kommt
zur gewaltsamen Befreiung der Geiseln in der Lufthansa-Maschine
durch ein paramilitärisches Kommando des Bundesgrenzschutzes
(GSG9). Kurz darauf wird Schleyer erschossen im Kofferraum eines
Autos aufgefunden; die RAF-Gefangenen Raspe, Baader und Ensslin
sterben unter bis heute nicht geklärten Umständen in ihren
Zellen in Stuttgart-Stammheim. Während dieser als ‘Deutscher
Herbst’ bekanntgewordenen Phase wird neben der illegalen auch
die legale Linke, die sich zu großen Teilen von den
militärischen Aktionen der RAF distanziert, von massiver
polizeilicher Repression und Kriminalisierung durch
Staatsanwaltschaft und Gerichte heimgesucht. Mit eilig
verabschiedeten Sondergesetzen und einer ständigen Ausweitung
der polizeilichen Befugnisse versucht der Staat, die in der
Bevölkerung weitgehend isolierte RAF zu zerschlagen. [390]
Das Jahr 1977 ist allerdings auch das Jahr der
großen Massendemonstrationen gegen die Atomkraftwerke in
Brockdorf und Gorleben. 1979 demonstrieren über 150.000 Menschen
gegen die Atompolitik der SPD-Bundesregierung. “Obwohl auch
in der Vergangenheit Kundgebungen und Sternmärsche das
Erscheinungsbild der politischen Linken geprägt hatten, ist es
ihr tatsächlich erst jetzt gelungen, dabei größere Massen zu
mobilisieren als die Rechte. (...) Diese Umschichtung des
außerparlamentarischen Protestpotentials wurde zweifellos erst
dadurch erreicht, daß dieses nun über den Bereich der
traditionellen Linken hinausreichte .”[391] Allgemein setzt sich in großen Teilen
der Bevölkerung seit Beginn der siebziger Jahre ein immer
kritischeres Bewußtsein unter anderem in Fragen der Ökologie
und der Rüstungspolitik durch. Auch die Frauenbewegung beginnt,
Einfluß auf gesellschaftliche Auseinandersetzungen zu nehmen und
die über Erziehung und anderer Normen vermittelten,
geschlechtsspezifischen Rollen in Frage zu stellen. Thematisiert
werden auch die in einer patriarchal-kapitalistischen
Gesellschaftsordnung in besonderem Maße gegen Frauen gerichteten
Unterdrückungsmechanismen. [392]
Nicht zuletzt werden vor allem vom antikapitalistischen Teil der
Frauenbewegung patriarchal-traditionalistische Strukturen der von
Männern dominierten Linken angegriffen. [393]
In BürgerInneninitiativen, Selbsthilfegruppen und Lobbygruppen
schließen sich auch viele bisher diskriminierte und
benachteiligte Minderheiten - wie Behinderte, HeimbewohnerInnen,
Alte, Homosexuelle - zusammen. Diese ‘neuen sozialen Bewegungen’
halten meist deutliche Distanz zu den Gewerkschaften und sind
auch ansonsten mißtrauisch gegenüber “übergreifende[n],
durch große Organisationen zu erkämpfende [n] Lösungen .”[394] Ab 1980 schließlich kommt
es im Zusammenhang mit der geplanten Stationierung von
erstschlagfähigen Pershing II- und Cruise Missile-Atomraketen
zur größten Friedensbewegung in der Geschichte der
Bundesrepublik.
1978 wird die von Ökologie-, Friedens- und Frauengruppen
getragene Partei Die Grünen gegründet, die bereits 1979
erstmals in ein Länderparlament, die Bremer Bürgerschaft,
einzieht. Eine Alternative Liste (AL) bzw. eine Grün-Alternatve
Liste (GAL) zieht in das Berliner Abgeordnetenhaus (1981) bzw.
die Hamburger Bürgerschaft (1982) ein. Auch in die Landtage von
Baden-Württemberg (1980), Niedersachsen und Hessen (1982) werden
die Grünen gewählt. [395]
Die neue politische Partei, die sich zunächst noch als eine Mischform
zwischen Partei und Bewegung versteht - mit einem Standbein in
den Parlamenten und einem in den BürgerInnenbewegungen - beginnt
rasch, die in den siebziger Jahren relativ starken Kräfte der
außerparlamentarischen Bewegungen zu absorbieren und erneut in
parlamentarische Bahnen zu lenken.
[324] Kühnl, R., Der deutsche Faschismus, S. 238.
[325] Vgl. ebenda, S. 264.
[326] Bei Kriegsende halten sich rund 8,5 Millionen ehemalige
ZwangsarbeiterInnen aus allen von der Wehrmacht überfallenen
Ländern Europas in Deutschland auf, vgl. Chronik der Deutschen,
S. 929.
[327] “Die großen Konzerne aber erzielten Profite, wie
sie nicht einmal das Kaiserreich ermöglicht hatte ”,
Kühnl, R., Der deutsche Faschismus, S. 238.
[328] Vgl. Chronik der Deutschen, S. 928.
[329] Kühnl, R., Der deutsche Faschismus, S. 283.
[330] Vgl. ebenda, S. 283.
[331] Vgl. Informationen zur politischen Bildung, Bd. 232, S.
7 ff.
[332] Bereits am 12. Mai 1945 hatte der britische Premier
Churchill an den neuen US-Präsidenten Truman telegrafiert: “Ein
eiserner Vorhang ist vor ihrer Front niedergegangen .” Er
warnt die USA ganz offen vor sowjetischen Expansionsgelüsten,
vgl. ebenda, S. 8.
[333] Vgl. Chronik der Deutschen, S. 954.
[334] Vgl. Kap. C. IV.1.1.1 (Das Ende der DDR).
[335] Vgl. Kap. C. IV.1.4.3 (Leipzig-Connewitz).
[336] Vgl. Lehmann, H.G., Chronik der BRD, Anhang.
[337] Fülberth, G., Neubau oder Reparatur? in: Klamm,
Heimlich und Freunde, S. 19.
[338] Bereits am 25. März 1954 hatte die Sowjetunion nach
dem Scheitern der Berliner Außenministerkonferenz der vier
Mächte die DDR als souveränen Staat anerkannt und formell
weitgehend auf ihre Besatzungsrechte verzichtet. Die DDR wird
allerdings noch bis in die siebziger Jahre lediglich von
sozialistischen Ländern diplomatisch voll anerkannt werden, vgl.
Chronik der Deutschen, S. 971.
[339] Ebenda, S. 977.
[340] Unter anderem vom Wehrmachts-General Hans Speidel .
[341] Vgl. Fülberth, G., Leitfaden durch die Geschichte der
BRD, S. 28.
[342] Ebenda, S. 37.
[343] Vgl. Chronik der Deutschen, S. 983.
[344]. Möglicherweise wurden sogar bis zu 200.000 Verfahren
eingeleitet, vgl. v. Brünneck, A., Politische Justiz gegen
Kommunisten in der BRD, S. 241 ff. “Bei den politischen
Delikten erreichten die Verurteilungen zwischen 1960 und 1966 nur
2,8 bis 4,3 % der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren
(...) Die Intensität der Ermittlungen war damit, bezogen auf die
Zahl der späteren Verurteilungen, bei politischen Delikten etwa
fünfmal so hoch wie im Durchschnitt aller Delikte”, ebenda,
S. 243.
[345] “Die Adenauer-Regierung nannte etwa 20
Organisationen der KPD, bzw. der KPD nahestehend, deren
Mitgliedschaft mit einer Beschäftigung im Öffentlichen Dienst
unvereinbar sei ”, Brückner, P., Ulrike Marie Meinhof, S.
21.
[346] Vgl. Ebenda, S. 27 ff.
[347] Ebenda, S. 30 ff.
[348] Giefer, R., T., Die Rattenlinie, S. 168.
[349] Der Leiter des US-Senatsuntersuchungsausschusses,
Senator Kilgore, stellte noch Ende 1945 fest: “Es ist nicht
wahr, daß die deutschen Großindustriellen sich erst im letzten
Augenblick und halb gezwungen dem Nationalsozialismus
angeschlossen haben. Sie waren von Anfang an seine begeisterten
Förderer. Die Unterstützung seitens der deutschen
Schwerindustrie und Hochfinanz ermöglichte den
Nationalsozialisten die Machtergreifung. Die Umstellung der
deutschen Wirtschaft auf die Kriegswirtschaft und die fieberhafte
Rüstung zum Angriffskrieg erfogte unter der unmittelbaren
Leitung der deutschen Industriellen .” Daß trotz dieser
eindeutigen Aussagen kein Verantwortlicher aus Industrie und
Hochfinanz vor einem west-alliierten Gericht zu nennenswerten
Strafen verurteilt wurde, hängt unmittelbar mit dem Beginn des
Kalten Krieges mit der Sowjetunion zusammen. Ein wirtschaftlich
starkes Westdeutschland wurde als Bollwerk gegen den Kommunismus
benötigt. Demgegenüber gingen die Sowjets in den von ihnen
besetzten Gebieten wesentlich konsequenter gegen Kriegsverbrecher
und Nazis vor, vgl. Schreiber, W.P., IG Farben, S. 151.
[350] Benannt nach dem damaligen Staatssekretär im
Auswärtigen Amt, Walter Hallstein.
[351] Chronik der Deutschen, S. 978.
[352] Dies geschieht in den folgenden Jahren unter anderem
mit Cuba und Jugoslawien, vgl. Fülberth, G., Leitfaden durch die
Geschichte der BRD, S. 34 ff.
[353] Spiegel Nr. 9, 23.2.70, S. 23.
[354] Fülberth, G., Leitfaden durch die Geschichte der BRD,
S. 56 ff.
[355] Da zur Änderung des Grundgesetzes 2/3 der Stimmen des
Bundestags benötigt werden, ist die CDU/CSU/FDP-Koalition auf
SPD-Stimmen angewiesen.
[356] Kiesinger gehörte vor 1945 der NSDAP an.
[357] Brandt war vor 1945 als Antifaschist, der vor den Nazis
ins schwedische Exil flüchten mußte.
[358] Fülberth, G., Leitfaden durch die Geschichte der BRD,
S. 62 ff.
[359] Laut Duden ist ein Ordinarius ein “ordentlicher
Professor an einer Hochschule.” Dazu schreibt Fülberth:
“[An den Hochschulen] hatten in der Vergangenheit die
Professoren - oder sogar nur ein Teil von ihnen, die [berufenen;
d.V.] ‘Ordinarien’ - unter Ausschließung der
Mitbestimmung anderer Gruppen die wichtigsten Entscheidungen
treffen können”, Fülberth, G., Leitfaden durch die
Geschichte der BRD, S.77.
[360] Ebenda, S. 50.
[361] Das Attentat auf einen der politischen Vordenker des
SDS, Rudi Dutschke, im Jahre 1968 wurde durch eine beispiellose
Diffamierungskampagne vor allem der BILD-Zeitung publizistisch
vorbereitet, unverholen wurde in der Springer-Presse zu Formen
der Selbstjustiz gegen die rebellischen StudentInnen und ihren
‘Anführer’ Dutschke aufgerufen.
[362] Pohrt, W., u.a., Die alte Straßenverkehrsordnung, S.
6.
[363] vgl. Lehmann, H.G., Chronik der BRD, S. 114 ff.
[364] Fülberth, G., Neubau oder Reparatur? in: Klamm,
Heimlich und Freunde, S. 19.
[365] Die Tatsache, daß mehr Männer als Frauen an den
Hochschulen studieren, wurde allerdings 1969 von der SPD noch
nicht thematisiert, vgl. auch: SPD: Modell für ein
demokratisches Bildungswesen, 1969, in: fzs, Reader zur
Gesamthochschule, 1994, S. 65 ff.
[366] Hierzu sei angemerkt, daß sich
modernisierungsfeindliche, undemokratische Hochschulen in jedem
politischen System hemmend auf eine dynamische ökonomische
Entwicklung auswirken. In den sozialistischen Ländern gab es
ähnliche Probleme.
[367] Fülberth, G., Neubau oder Reparatur? in: Klamm,
Heimlich und Freunde, S. 19.
[368] Die Gefördertenquote beträgt zunächst 45 %. Mit der
Einführung eines Darlehen-Anteils im Jahre 1974 - der sich in
den folgenden Jahren ständig zum Nachteil des Zuschuß-Anteils
erhöhen wird - sinkt die Anzahl der Geförderten bis 1982 auf 37
%, vgl. AStA FH Düsseldorf, ASTA INFO Nr. 57, 30.10.95, S. 5 ff.
[369] Vgl. Beck, U., Risikogesellschaft, S. 128.
[370] Im Jahre 1995 beträgt der Anteil von Frauen bei
C4-Professuren 4,8 %, bei C3-Professuren 8,5 % und beim sonstigen
wissenschaftlichen Personal 22 % (in Nordrhein-Westfalen), vgl.
Auskunft der Frauenbeauftragten im Wissenschaftsministerium NRW,
Frau Bucklemünd, 6.11.95.
[371] Preuss-Lausitz, U., Aufstieg durch Bildung, in: Klamm,
Heimlich und Freunde, S. 42.
[372] 1973 entschied das BVG, daß bei allen die Lehre
betreffenden Entscheidungen ProfessorInnen einen ‘maßgebenden’
sowie bei Lehre und Forschung betreffenden Entscheidungen
sogar einen ‘weitgehenden, ausschlaggebenden Einfluß’ haben
müßten. Das führte in den meisten Hochschulen zur
Wiederherstellung der absoluten ProfessorInnen-Mehrheit in allen
Gremien. Das System der Drittel-Parität sah demgegenüber vor,
daß alle drei an der Hochschule vertretenen Statusgruppen -
StudentInnen, MitarbeiterInnen und ProfessorInnen - jeweils ein
Drittel der Sitze in allen Gremien der Selbstverwalteten
Hochschule besetzen, vgl. 1 BvR 424/71 und 325/72, Entscheidungen
des BVG, Bd. 35 Nr. 10, S. 79 ff.
[373] Die “‘Gesamthochschulen’ sollten die Trennung
von rein akademischer Forschung und Lehre einerseits,
praxisnäherer Fachhochschulausbildung andererseits aufheben ”,
Fülberth, G., Leitfaden durch die Geschichte der BRD, S. 78.
[374] Dies geschieht durch die Umwandlung von Fachoberschulen
in Fachhochschulen.
[375] Vgl. MSB Spartakus, Hochschule... im Jahr 2000, S. 177
ff.
[376] Vgl. Kap. 3.2.1 (‘Neue Urbanität’) & 3.2.1 (‘Individualisierungsschub’
und ‘Fahrstuhl-Effekt’).
[377] Spiegel, Nr. 9, 23.2.70, S. 22.
[378] Vgl. Fülberth, G., Neubau oder Reparatur? in: Klamm,
Heimlich und Freunde, S. 21.
[379] Ebenda, S. 19.
[380] Fülberth, G., Leitfaden durch die Geschichte der BRD,
S. 72.
[381] Im Jahre 1969 exportiert die BRD immerhin Güter im
Wert von 1,272 Mrd. Dollar in die RGW-Länder, den sog. ‘Interzonenhandel’
mit der DDR nicht eingerechnet, und hält damit die
Spitzenposition vor allen anderen kapitalistischen Ländern, vgl.
Fülberth, G., Neubau oder Reparatur? in: Klamm, Heimlich und
Freunde, S. 19.
[382] Vgl. IMSF 42, Berufsverbote, S. 11.
[383] Fülberth, G., Neubau oder Reparatur? in: Klamm,
Heimlich und Freunde, S. 28.
[384] Dazu kommt noch im selben Jahr der durch die Steigerung
des Rohölpreises durch die OPEC ausgelöste ‘Ölschock’.
[385] Vgl. Fülberth, G., Neubau oder Reparatur? in: Klamm,
Heimlich und Freunde, S. 29.
[386] Nach dem bereits 1968 einsetzenden Zerfallsprozeß der
APO entstehen Anfang der Siebziger mehrere Strömungen: Neben den
bewaffnet kämpfenden Gruppen sind dies vor allem verschiedene
marxistisch-leninistische Partei- und Zirkelbildungen (z.B.
KPD/ML, KB etc.), der marxistisch inspirierte Teil der Jusos und
unorganisierte Antiautoritäre, die sogenannten ‘Spontis’.
[387] Vgl. RAF, Das Konzept Stadtguerilla, in: Pohrt, W., Die
alte Straßenverkehrsordnung, S. 21-45.
[388] Z.B. auf das wegen seiner Funktion als
Computer-Zentrale für die Flächenbombardements der US-Luftwaffe
in Vietnam militärisch bedeutsame US-Hauptquartier in Frankfurt.
Bei einem Bombenanschlag der RAF sterben dort am 11. Mai 1972
mehrere US-Offiziere und Soldaten.
[389] Während des Nationalsozialismus war Schleyer außerdem
hoher SS-Offizier, der vermutlich als letzter ‘Kampfkommandant’
von Prag 1945 für ein Massaker an tschechischen ZivilistInnen
verantwortlich war, vgl. Köhler, O., Der Kampfkommandant, in:
Konkret, ohne Angabe.
[390] Vgl. Fülberth, G., Leitfaden durch die Geschichte der
BRD, S. 93 ff.
[391] Ebenda, S. 98.
[392] Das wird vor allem bei den Auseinandersetzungen um den
§ 218 StGB deutlich, aber auch bei der ökonomischen (‘Leichtlohngruppen’,
Diskriminierung bei der Jobvergabe usw.) und rechtlichen
Ungleichbehandlung von Männern und Frauen.
[393] Wie zum Beispiel das oft gehörte ‘Argument’, die
Unterdrückung von Frauen sei nur ein ‘Nebenwiderspruch’
[394] Fülberth, G., Leitfaden durch die Geschichte der BRD,
S. 98.
[395] Ebenda, S. 101.