Insgesamt kann in Deutschland während der
zwanziger und dreißiger Jahre - im Gegensatz zu den USA - nur
bedingt von der Durchsetzung des fordistischen
Akkumulationsmodells gesprochen werden, da hier “vor allem
die politischen und sozialen Regulationsmechanismen [fehlten],
die ein stabiles Verhältnis von Produktion und Konsumption
hätten herstellen können .”[81]
Allerdings fasziniert die vom Fordismus beeinflußte Architektur
amerikanischer Städte - symbolisiert durch den Bau von ‘Wolkenkratzern’
- zahlreiche europäische StadtplanerInnen. [82]
Deutsche StadtplanerInnen können ihre Gegenentwürfe zur
existierenden Stadt in der Weimarer Republik nur sehr begrenzt
umsetzen. “Die Modernen erhielt ihre Chance dort (wie in
Berlin, Stuttgart oder Frankfurt), wo der Siedlungswohnungsbau
als sozialer Ausgleich zwischen den verschiedenen städtischen
Klassen gedacht war und man sich - im Bewußtsein des Neuen, was
zu schaffen war - nicht auf die bürgerliche ästhetische
Tradition beziehen wollte. Statt dessen setzte man auf einfache
schmucklose Formen und Maschinensymbolik, eine
Architektursprache, die damals willkürlich und grotesk wirkte ”.[83]
Bestimmend für die Stadtentwicklung in der Weimarer Republik ist
aber die, angesichts der herrschenden Wohnungsnot und der neuen
politischen Kräfteverhältnisse, forcierte Regulierung des
Wohnungsmarktes. Gesetzliche Mietbegrenzungen, Hauszinssteuer und
die ab 1925 verstärkt betriebenen öffentlichen
Wohnungsbauprogramme sind kennzeichnend für das Bemühen, “die
Bedrohung der Reproduktion der Arbeitskräfte durch
bodenbesitzende und bodenverwertende Schichten staatlich zu
begrenzen .”[84] Der
kommunale Siedlungswohnungsbau - vor allem für ArbeiterInnen und
andere geringverdienende Schichten gedacht - wird überwiegend an
den Rändern der Städte realisiert, da dort noch genügend
Bauland vorhanden ist. [85]
Der Nationalsozialismus hingegen begreift den Städtebau als
Mittel autoritärer politischer Herrschaft. “Den
Nationalsozialisten, denen der Städtebau als Mittel der
Demonstration hegemonialer Ansprüche sehr bewußt war, (wie
Hitlers Bemühungen um die Umgestaltung verschiedener
Großstädte deutlich machten), ging es bei der Siedlungsplanung
vor allem um die Festigung der neuen Ordnung der Gemeinschaft der
Volksgenossen (als klassenvereinigendes Konzept) unter
nationalsozialistischer Führung .”[86]
Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß durch die von den
Nationalsozialisten in Anknüpfung an die Weimarer
Wohnungsbauprogramme entwickelten Verfahren der Rationalisierung
und Modernisierung das Fundament für den Massenwohnungsbau im
Deutschland der Nachkriegszeit gelegt wird. [87]
Kennzeichnend für die Jahre nach dem zweiten Weltkrieg ist das
Bemühen, die durch den Krieg verursachten Zerstörungen in den
Städten zu beseitigen. Millionen von Obdachlosen und
Flüchtlingen müssen untergebracht werden, so daß dem
massenhaften Neubau von Wohnungen mit Hilfe staatlicher Mittel
zunächst größte Priorität eingeräumt wird. [88]
Die Rekonstruktion der bundesdeutschen Wirtschaft ist ab Mitte
der fünfziger Jahre beendet. Erst jetzt kann sich das
fordistische Prinzip der intensiven Akkumulation und der
Nachfragesteigerung voll entfalten. Bezogen auf Stadtentwicklung
bedeutet dies einen fast ausschließlich an ökonomischen
Bedürfnissen orientierten städtebaulichen Funktionalismus [89]:
Ab den sechziger Jahren kommt es im
innerstädtischen Bereich zu Flächensanierungen, die zu einer
Zerstörung alter Stadtstrukturen führen. [93] Diese Sanierungen, die in vielen Städten
den Abriß ganzer Stadtteile bedeuten, werden “vor allem
wegen des ungeheuren Flächenbedarfs sich ausdehnender
City-Funktionen im Zusammenhang mit der Tertiärisierung des
Arbeitsmarktes und den verlockenden Versuchen, durch ‘Säuberungsaktionen’
sowohl bauliche als auch vermeintliche soziale Mißstände zu
beseitigen ”[94],
vorgenommen.
[80] Vgl. Kap. C. IV. 1.2.1 (Neoliberalismus und
Deregulierung).
[81] Rodenstein, M., Städtebaukonzepte; in: Häußermann,
H., u.a., Stadt und Raum, S. 52.
[82] Eine bedeutende Rolle spielt hier die von Le Corbusiers
entworfene ‘funktionelle Stadt’, deren Entwürfe allerdings
keinen prägenden Einfuß auf die Stadtplanung und -entwicklung
in Deutschland haben, vgl. Rodenstein, M., Städtebaukonzepte,
in: Häußermann, H., u.a., Stadt und Raum, S. 53 ff.
[83] Ebenda, S. 56.
[84] Ebenda, S. 56.
[85] Vgl. Kap. C.I. (Die Weimarer Republik)
[86] Rodenstein, M., Städtebaukonzepte; in: Häußermann,
H., u.a., Stadt und Raum, S. 57.
[87] Vgl. ebenda, S. 57.
[88] Vgl. MSB Spartakus, Lieber instandbesetzen..., S. 7.
[89] Dieser, rein auf dem Funktionalismus ausgerichteten
Stadtplanung kommen die großen Kriegszerstörungen sogar
entgegen. Zersörte Gebiete werden rigeros dem Funktionalismus
angepaßt.
[90] 1959 entwickelt Hans Reichow das Konzept der ‘autogerechten
Stadt’, das an Konzepte und Überlegungen aus der Zeit des
Nationalsozialismus anknüpft, vgl. Rodenstein, M.,
Städtebaukonzepte; in: Häußermann, H., u.a., Stadt und Raum,
S. 60.
[91] Dabei greift man u.a. auf Le Corbusiers Konzept einer
‘funktionalen Stadt’ zurück. Das neue Leitbild heißt ‘Urbanität
durch Dichte’, ebenda, S. 60.
[92] Ebenda, S. 59.
[93] Diese Sanierungen werden auch als ‘die zweite
Zerstörung’ bundesdeutscher Städte nach dem 2. Weltkrig
bezeichnet, weil ihnen mehr alte Wohnhäuser zum Opfer fallen,
als den alliierten Bomben, vgl. Herlyn, U., Leben in der Stadt,
S. 150.
[94] Ebenda, S. 150.