1.2 Die fordistische [80] Phase (ca. 1918 bis 1975)

Insgesamt kann in Deutschland während der zwanziger und dreißiger Jahre - im Gegensatz zu den USA - nur bedingt von der Durchsetzung des fordistischen Akkumulationsmodells gesprochen werden, da hier “vor allem die politischen und sozialen Regulationsmechanismen [fehlten], die ein stabiles Verhältnis von Produktion und Konsumption hätten herstellen können .”[81] Allerdings fasziniert die vom Fordismus beeinflußte Architektur amerikanischer Städte - symbolisiert durch den Bau von ‘Wolkenkratzern’ - zahlreiche europäische StadtplanerInnen. [82]
Deutsche StadtplanerInnen können ihre Gegenentwürfe zur existierenden Stadt in der Weimarer Republik nur sehr begrenzt umsetzen. “Die Modernen erhielt ihre Chance dort (wie in Berlin, Stuttgart oder Frankfurt), wo der Siedlungswohnungsbau als sozialer Ausgleich zwischen den verschiedenen städtischen Klassen gedacht war und man sich - im Bewußtsein des Neuen, was zu schaffen war - nicht auf die bürgerliche ästhetische Tradition beziehen wollte. Statt dessen setzte man auf einfache schmucklose Formen und Maschinensymbolik, eine Architektursprache, die damals willkürlich und grotesk wirkte ”.[83]
Bestimmend für die Stadtentwicklung in der Weimarer Republik ist aber die, angesichts der herrschenden Wohnungsnot und der neuen politischen Kräfteverhältnisse, forcierte Regulierung des Wohnungsmarktes. Gesetzliche Mietbegrenzungen, Hauszinssteuer und die ab 1925 verstärkt betriebenen öffentlichen Wohnungsbauprogramme sind kennzeichnend für das Bemühen, “die Bedrohung der Reproduktion der Arbeitskräfte durch bodenbesitzende und bodenverwertende Schichten staatlich zu begrenzen .”[84] Der kommunale Siedlungswohnungsbau - vor allem für ArbeiterInnen und andere geringverdienende Schichten gedacht - wird überwiegend an den Rändern der Städte realisiert, da dort noch genügend Bauland vorhanden ist. [85]
Der Nationalsozialismus hingegen begreift den Städtebau als Mittel autoritärer politischer Herrschaft. “Den Nationalsozialisten, denen der Städtebau als Mittel der Demonstration hegemonialer Ansprüche sehr bewußt war, (wie Hitlers Bemühungen um die Umgestaltung verschiedener Großstädte deutlich machten), ging es bei der Siedlungsplanung vor allem um die Festigung der neuen Ordnung der Gemeinschaft der Volksgenossen (als klassenvereinigendes Konzept) unter nationalsozialistischer Führung .”[86]
Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß durch die von den Nationalsozialisten in Anknüpfung an die Weimarer Wohnungsbauprogramme entwickelten Verfahren der Rationalisierung und Modernisierung das Fundament für den Massenwohnungsbau im Deutschland der Nachkriegszeit gelegt wird. [87]
Kennzeichnend für die Jahre nach dem zweiten Weltkrieg ist das Bemühen, die durch den Krieg verursachten Zerstörungen in den Städten zu beseitigen. Millionen von Obdachlosen und Flüchtlingen müssen untergebracht werden, so daß dem massenhaften Neubau von Wohnungen mit Hilfe staatlicher Mittel zunächst größte Priorität eingeräumt wird. [88]
Die Rekonstruktion der bundesdeutschen Wirtschaft ist ab Mitte der fünfziger Jahre beendet. Erst jetzt kann sich das fordistische Prinzip der intensiven Akkumulation und der Nachfragesteigerung voll entfalten. Bezogen auf Stadtentwicklung bedeutet dies einen fast ausschließlich an ökonomischen Bedürfnissen orientierten städtebaulichen Funktionalismus [89]:

Ab den sechziger Jahren kommt es im innerstädtischen Bereich zu Flächensanierungen, die zu einer Zerstörung alter Stadtstrukturen führen. [93] Diese Sanierungen, die in vielen Städten den Abriß ganzer Stadtteile bedeuten, werden “vor allem wegen des ungeheuren Flächenbedarfs sich ausdehnender City-Funktionen im Zusammenhang mit der Tertiärisierung des Arbeitsmarktes und den verlockenden Versuchen, durch ‘Säuberungsaktionen’ sowohl bauliche als auch vermeintliche soziale Mißstände zu beseitigen [94], vorgenommen.


[80] Vgl. Kap. C. IV. 1.2.1 (Neoliberalismus und Deregulierung).
[81] Rodenstein, M., Städtebaukonzepte; in: Häußermann, H., u.a., Stadt und Raum, S. 52.
[82] Eine bedeutende Rolle spielt hier die von Le Corbusiers entworfene ‘funktionelle Stadt’, deren Entwürfe allerdings keinen prägenden Einfuß auf die Stadtplanung und -entwicklung in Deutschland haben, vgl. Rodenstein, M., Städtebaukonzepte, in: Häußermann, H., u.a., Stadt und Raum, S. 53 ff.
[83] Ebenda, S. 56.
[84] Ebenda, S. 56.
[85] Vgl. Kap. C.I. (Die Weimarer Republik)
[86] Rodenstein, M., Städtebaukonzepte; in: Häußermann, H., u.a., Stadt und Raum, S. 57.
[87] Vgl. ebenda, S. 57.
[88] Vgl. MSB Spartakus, Lieber instandbesetzen..., S. 7.
[89] Dieser, rein auf dem Funktionalismus ausgerichteten Stadtplanung kommen die großen Kriegszerstörungen sogar entgegen. Zersörte Gebiete werden rigeros dem Funktionalismus angepaßt.
[90] 1959 entwickelt Hans Reichow das Konzept der ‘autogerechten Stadt’, das an Konzepte und Überlegungen aus der Zeit des Nationalsozialismus anknüpft, vgl. Rodenstein, M., Städtebaukonzepte; in: Häußermann, H., u.a., Stadt und Raum, S. 60.
[91] Dabei greift man u.a. auf Le Corbusiers Konzept einer ‘funktionalen Stadt’ zurück. Das neue Leitbild heißt ‘Urbanität durch Dichte’, ebenda, S. 60.
[92] Ebenda, S. 59.
[93] Diese Sanierungen werden auch als ‘die zweite Zerstörung’ bundesdeutscher Städte nach dem 2. Weltkrig bezeichnet, weil ihnen mehr alte Wohnhäuser zum Opfer fallen, als den alliierten Bomben, vgl. Herlyn, U., Leben in der Stadt, S. 150.
[94] Ebenda, S. 150.


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