Die seit Mitte der siebziger Jahre dominierende
flexible Akkumulationsstrategie zeichnet sich durch technische
Entwicklungen im Bereich der Mikroelektronik und neue
Produktionskonzepte mit stark ausgeweiteten
Rationalisierungsmöglichkeiten aus. Die ‘just-in-time’-Produktion
baut unnötige Lagerkapazitäten ab und ist stark von
Nachfragestimulation bzw. -kreation abhängig. Damit verbunden
ist eine weitere Flexibilisierung der Arbeitszeiten der
Beschäftigten. Den immer kleiner werdenden, hochqualifizierten
Kernbelegschaften mit hohen Einkommen steht die größer werdende
Gruppe der ‘freien’ Selbständigen sowie der vollständig aus
dem Arbeitsleben ausgegliederten Personen gegenüber. [96]
Im Hinblick auf die Konsequenzen dieser neuen Akkumulationsweise
für die räumliche Neuordnung der Städte gibt es noch keine
endgültigen Erkenntnisse, wenngleich einige
Entwicklungstendenzen schon seit etlichen Jahren zu beobachten
sind.
“Sicher ist bisher nur dreierlei: daß erstens die Städte
entsprechend ihrer jeweiligen traditionellen Wirtschaftsstruktur
in unterschiedlichem Maß mit Betrieben der neuen
Wachstumsbranchen ‘gesegnet’ sind; daß zweitens die neuen
Wachstumsbereiche, die im Forschungs- und Dienstleistungssektor
liegen, Raum für die Expansion benötigen und hierbei eine
Präferenz der Stadtmitte vorzuherrschen scheint; daß drittens
dort, wo eine Häufung solcher Wachstumsbranchen zu verzeichnen
ist, die Bodenpreise erheblich gestiegen sind und zusammen mit
nachlassenden Aktivitäten im sozialen Wohnungsbau zu einer neuen
Wohnungsnot bei mittleren und unteren Einkommensgruppen geführt
haben .”[97]
Die Ansiedlung von Dienstleistungsbetrieben in den
innerstädtischen Bereichen führt zu massiven Wertsteigerungen
des Bodens und zur Vernichtung von preiswertem Wohnraum,
einerseits durch die Betriebe selbst, andererseits aber auch
durch die Modernisierung und Umwandlung von Miet- in
Eigentumswohnungen. Es kommt zur Verdrängung der “innerstädtischen
Wohnbevölkerung durch Unternehmen und die Verdrängung ärmerer
durch wohlhabendere Schichten ”.[98]
Trotz unterschiedlicher ökonomischer Ausgangspositionen der
Städte [99] sind die
städtebaulichen Konsequenzen prinzipiell überall die gleichen.
Abhängig von der Attraktivität der Städte für die neuen,
expandierenden Wirtschaftssektoren steht lediglich die Frage im
Raum, wer “Vorreiter einer neuen städtebaulichen
Entwicklung wird und wer nachhinkt .”[100]
Ihren ästhetisch-architektonischen Ausdruck findet die
Inbesitznahme der City durch Dienstleistungsunternehmen und die
dazugehörigen Angestellten in einer neuen Architekturrichtung,
die sich nicht mehr wesentlich am Funktionalismus [101] orientiert. Die postmoderne
‘Collage City’ [102]
verbindet Vergangenes mit Zukünftigem, ökonomische
Notwendigkeiten mit ‘weichen Standortfaktoren’. [103] “Altbauwohnungen sind
wieder in, Fassaden werden nicht mehr möglichst praktisch mit
Plastikramsch, sondern möglichst schön mit edlem Material
renoviert. Baulücken werden nicht lediglich funktional
aufgefüllt, Neubauten werden ‘gestaltet’ .”[104] Die ‘schmuck’
restaurierten Fassaden der luxusrenovierten Wohnhäuser, in denen
immer weniger und dafür besser verdienende Menschen wohnen, [105] schaffen - zusammen mit den
postmodern gestalteten Zentralen der Ministerialbürokratien,
Banken, Versicherungen und produzierenden Unternehmen der ‘High-tech’-Wachstumsbranchen
- neue Innenstädte: “So wie die feudalen Missionare des
Mittelalters ihre christlichen Kirchen auf den Grundmauern der
Tempel der Volksreligionen errichteten, so entstehen heute die
Großbauten der öffentlichen und privaten Administration meist
dort, wo etwas anderes planiert worden ist .”[106]
In dieser Phase der flexiblen Akkumulation konkurrieren zwei
städtebauliche Konzepte miteinander:
Es ist nicht unwahrscheinlich, “daß sich
die beiden heute dominanten städtebaulichen Konzeptionen der
Postmoderne und der Ökologie langfristig vermischen. (...) Ob
jedoch die heutigen Konzeptionen, die zunächst nur Spiegelbilder
der ökologischen und ästhetischen Krise und neuer
Kräfteverhältnisse in der [post]fordistischen
Gesellschaft sind, im Blick zurück aus der Zukunft einer neuen
Stadt als hinderliche Zerrbilder oder erhellende Wunschbilder
für die folgende gesellschaftliche Entwicklung gesehen werden,
hängt entscheidend von dem demokratischen Potential der
künftigen Gesellschaft und seiner Möglichkeit ab, die
baulich-räumlichen Strukturen der Stadt als Widerspiegelung der
gesellschaftlichen Vielfalt zu gestalten .”[109]
[95] Vgl. Kap. C. IV. 1.2.1 (Neoliberalismus und
Deregulierung).
[96] Vgl. Rodenstein, M., Städtebaukonzepte; in:
Häußermann, H., u.a., Stadt und Raum,
S. 60 ff.
[97] Ebenda, S. 61.
[98] Ebenda, S. 61.
[99] Zur Zeit ist die explosive Entwicklung der neuen
Branchen und der damit verbundene ökonomische Wachstumsdruck nur
in relativ wenigen deutschen Städten zu beobachten, während
viele Städte noch relativ unattraktiv für die Ansiedlung “von
Gewerbe- und Dienstleistungsbereichen mit hohen Wachstumsraten
(...) sind. Dementsprechend ist die Arbeislosenquote
unterschiedlich”, ebenda, S. 61.
[100] Ebenda, S. 61.
[101] “Das Einsparen von Zeit mit Hilfe des Autos bei
räumlicher Expansion scheint überholt. Es kollidiert mit neuen
Vorstellungen in Ökonomie, Ökologie und Ästhetik über die
angemessene Verknüpfung von Raum und Zeit. Das Potential des
städtebaulichen Funktionalismus an baulich-räumlichen Lösungen
für die Probleme in unseren Städten scheint ausgeschöpft und
erschöpft”, ebenda, S. 60.
[102] “Dadurch, daß sich die Methode der Collage auf
Vergangenes und Utopisches gleichzeitig beziehen kann,
überwindet sie das Problem des bisherigen modernen Städtebaus,
der immer als Entwertung des Vorhandenen, des Bestandes, antrat”,
ebenda, S. 63 ff.
[103] In den Vordergrund treten dabei u.a. die “Ästhetisierung
des Stadtbildes und die Inszenierung von ‘Kultur’”, Häußermann,
H.,Siebel, W., Neue Urbanität, S. 124.
[104] Ebenda, S. 11.
[105] Vgl. Kap. B. II. 3.3 (Gentrification).
[106] Heinzen, G., Koch, U., Heimat Stadt, S. 17.
[107] Rodenstein, M., Städtebaukonzepte; in: Häußermann,
H,. u.a., Stadt und Raum, S. 65.
[108] Vgl. ebenda, S. 65.
[109] Ebenda, S. 65 ff.