1.3 Die Wohnungssituation

1.3.1 Die Nachkriegszeit: ‘Häuslebauen’ gegen den Kommunismus

Nach 1945 herrscht in den westlichen Besatzungszonen eine enorme Wohnungsnot. 2,3 Millionen der 1939 vorhandenen 11 Millionen Wohnungen wurden im 2. Weltkrieg durch Bombenangriffe zerstört. Dazu kommen bis 1950 ungefähr 10 Millionen Flüchtlinge und AussiedlerInnen, die untergebracht werden müssen. Die Belegungsdichte verdoppelt sich beinahe innerhalb von 10 Jahren von 3,6 auf 6 Personen pro Wohnung. Es wird schnell damit begonnen, vorhandenen Wohnraum mit Hilfe von Mietbestimmungen aus der Weimarer Republik - Wohnraumverteilung durch Wohnungsämter, festgelegte Mietobergrenzen, relativer Kündigungsschutz - zu verteilen und neuen zu schaffen. Zum einen wird der soziale Sprengstoff, den die herrschenden Wohnungsnot birgt, befürchtet, zum anderen sieht man “in der Bauindustrie eine Schlüsselindustrie zur Ankurbelung der Wirtschaft und zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit .”[418] Im ‘Ersten Wohnungsbaugesetz’ von 1950 wird der soziale Wohnungsbau mit Hilfe von zinsgünstigen Darlehen, Zuschüssen und staatlichen Darlehen massiv gefördert. Dadurch entstehen zwischen 1951 und 1956 tatsächlich ca. 2,1 Millionen sozial geförderte Wohnungen. [419] Nachdem die größte Wohnungsnot beseitigt ist, werden 1956 im ‘Zweiten Wohnungsbaugesetz’ die Mietbindungen im sozial geförderten Wohnungsbau durch die Einführung der Kostenmiete [420] gelockert. Gleichzeitig verlagert sich der Schwerpunkt der staatlichen Subventionen immer mehr in Richtung Eigenheimbau, für den erstmals Anfang der sechziger Jahre mehr Mittel bereitgestellt werden als für den sozialen Wohnungsbau. [421] “Offen sprach der damalige CDU-Wohnungsbauminister Paul Lücke die politischen Motive dieser Schwerpunktverlagerung aus: ‘Unsere bedrohte Lage am Eisernen Vorhang erfordert mehr denn je persönliches Eigentum in den Händen breiter Kreise. Das Eigentum an Grund und Boden ist die sicherste und ursprünglichste Form des Eigentums überhaupt’ .”[422]

1.3.2 Der ‘Lückeplan’: Grenzenlose Profite für VermieterInnen

In dem als Lückeplan bekanntgewordenen ‘Gesetz über den Abbau der Wohnungszwangswirtschaft’ werden 1960 der MieterInnenschutz weitgehend aufgehoben und die Mieten in den Gebieten, in denen der Wohnungsbedarf als gedeckt angesehen wird [423], freigegeben. Das statistische Bundesamt erklärt bereits im folgenden Jahr 397 von 765 Kreisen der BRD zu sogenannten ‘weißen Kreisen’ (Lücke), in denen die Wohnungszwangswirtschaft aufgehoben wird. Erst 1968 wird bei einer Wohnungszählung festgestellt, daß Lücke acht Jahre zuvor “kurzerhand 750.000 Wohnungen zuviel eingerechnet hatte .”[424] Aber das Ziel ist erreicht: Zwischen 1960 und 1970 verdoppeln sich die Mieten, von 1962 bis 1969 die Bodenpreise in der BRD. [425] Um diese für die Mehrzahl der MieterInnen bedrohliche Entwicklung etwas auszugleichen und - vor allem - die zahlungsfähige Nachfrage nach Wohnraum nicht zusammenbrechen zu lassen, wird 1963 das ‘Wohngeldgesetz’ verabschiedet, mit dessen Hilfe die ständig steigenden Mietzahlungen an HauseigentümerInnen auf Kosten von Steuergeldern garantiert werden. [426]

1.3.3 1968 ff : MieterInnenproteste, Hausbesetzungen und halbherzige Reformen

Die Situation auf dem Wohnungsmarkt jedenfalls kann im Jahre 1970 getrost als katastrophal bezeichnet werden. In der gesamten BRD formieren sich Massenproteste gegen Mieterhöhungen und Wohnungsnot. Im Oktober ruft der Deutsche Mieterbund zum ersten Mal in seiner Geschichte zu einer überregionalen Protestkundgebung auf, zu der mindestens 10.000 MieterInnen erwartet werden. Auch ungewöhnliche Protestformen wie Hausbesetzungen, happenings etc. vor allem von StudentInnen, finden häufig Beifall in der Bevölkerung. “Was Rudi Dutschke vergeblich erhoffte, was dem SDS nie gelang, schaffen zur Zeit protestierende Studenten fast mühelos: Den Beifall des Bürgers, die Solidarisierung von Arbeitern, Angestellten und Beamten .”[427] Aber auch ‘beim einfachen Bürger’ wächst die Neigung zu illegalen Protestformen. “Ob die Pläne der Bundesregierung für eine Mietenreform die Situation auf dem Wohnungsmarkt verbessern können, ist fraglich. Dem ‘Marsch auf Bonn’, mit dem die ‘Düsseldorfer Mieter-Solidarität’ droht, würden sich wahrscheinlich auch andere Organisationen anschließen. Alarmierender jedoch ist das verbreitete Gefühl bei vielen Mietern, man könne Gesetzesverstöße in Kauf nehmen, da man moralisch im Recht sei: So traten gestern 50 Mieter der städtischen Wohnungsbaugesellschaft in Weiden (Oberpfalz) in einen Zahlungsstreik. Ihre Mieten waren um 20 Prozent erhöht worden .”[428]
Ab 1969/70 verändert sich die Situation mit dem Beginn der sozialliberalen Koalition und dem immer stärker werdenden Druck durch MieterInneninitiativen und Hausbesetzungen etwas. Durch das ‘Städtebauförderungsgesetz’ von 1971 werden öffentliche Mittel für Sanierungsmaßnahmen in den Kommunen zur Verfügung gestellt. [429] Allerdings ist das Gesetz weitgehend ‘wertfrei’: So können die geförderten baulichen Eingriffe “ebenso in der Zerstörung vorhandener Substanz wie in ihrer auch ästhetisch gelungenen Pflege und Wiederherstellung bestehen .”[430] Ob letztere Variante zum Tragen kommt, hängt oft nicht zuletzt von der Stärke der BürgerInneninitiativen ab, die - zusammen mit aufgeschlossenen KommunalpolitikerInnen und VerwaltungsbeamtInnen - in manchen Orten eine Verschönerung und bessere Wohnqualität der Stadtkerne erreichen können.
Im ‘Ersten Wohnraumkündigungsschutzgesetz’ vom 25. November 1971 wird festgelegt, daß MieterInnen auf Dauer von Mietforderungen geschützt sind, die über den ortsüblichen Sätzen liegen (Vergleichsmietenregelung). Wichtigstes Kernstück des Gesetzes ist das Verbot von Kündigungen, die zum Zweck der Mietsteigerung ausgesprochen werden. [431] Das Gesetz, das ursprünglich auf drei Jahre Geltungsdauer befristet ist, wird unter der sozialliberalen Regierung Schmidt am 18. Dezember 1974 auf unbegrenzte Zeit verlängert. [432]
Das Wohnungsmodernisierungsgesetz vom 23. August 1976 hat zum Ziel, durch Zuschüsse und Darlehen “die Qualität älterer Wohnungen zu verbessern, ihren Gebrauchswert zu erhöhen und die Mieten zu stabilisieren .”[433] Als letztes (wohnungs)baupolitisches Gesetz der sozialliberalen Koalition tritt schließlich am 1. Januar 1977 eine Novelle zum Bundesbaugesetz von 1960 in Kraft. Die Gemeinden erhalten erweiterte Rechte z.B. in Bau-, Nutzungs-, Instandsetzungs-, Abbruch- und Modernisierungsangelegenheiten. Mit Hilfe von Sozialplänen sollen künftig die Auswirkungen eines Bebauungsplanes z.B. für ‘umgesetzte’ MieterInnen - allerdings unter Berücksichtigung von Bodenwertsteigerungen - ausgeglichen werden. Außerdem sollen die BürgerInnen in Zukunft über die Bauleitplanung ‘rechtzeitig’ informiert werden. [434] Von einer wirklichen ‘BürgerInnen-Beteiligung’ am Planungsverfahren kann allerdings keine Rede sein. [435]

1.3.4 Die späten Siebziger: Wohnraum bleibt Mangelware

Im März 1979 plant die Bundesregierung, die Finanzhilfen für den sozialen Wohnungsbau zu reduzieren. Von den Kommunen werde erwartet, daß sie “in Entlastung des Bundes mehr aus eigenen Mitteln für den Wohnungsbau täten .”[436] Dagegen wehren sich vor allem die größeren Städte, in denen das Problem der Unterversorgung mit preiswertem Wohnraum für einkommenschwache Bevölkerungsgruppen - wie kinderreiche Familien, Arbeitslose, Behinderte, StudentInnen etc. - am gravierendsten ist. Ein Sprecher des Deutschen Städtetages weist im Rahmen einer wohnungspolitischen Tagung in Düsseldorf am 23. März 1979 darauf hin, daß in diesem Jahr nur runde 1,5 Milliarden DM des Bundes in die generelle Wohnungsbauförderung fließen, während alleine die steuerlichen Vergünstigungen und Bausparzuschüsse für ‘HäuslebauerInnen’ im gleichen Zeitraum 6 Milliarden DM betragen. “So führt die eigentlich allgemein gewährte steuerliche Förderung des Wohnungsbaues tatsächlich zu einer Hinlenkung des Wohnungsbaues in die Gebiete, in denen die steuerliche Förderung mit geringen Schwierigkeiten, mit geringen Kosten zusammentrifft .”[437] Staatlich gefördert wird Wohnungsneubau also vor allem auf dem Land, als Eigenheimbau, auf jeden Fall dort, wo kein drastischer Mangel an günstigem Wohnraum herrscht und auch die Bodenpreise viel niedriger sind. “Die Städte haben die Belastungen aus dem Verkehr, (...) aus dem Verschwinden der Einwohner auch als finanzstatistisches Merkmal .”[438] Der Vertreter des Städtetages zieht daraus die Konsequenz, “daß es in der Tat weite Teile der Bundesrepublik gibt, (...) in denen eigentlich eine öffentliche Wohnungsbauförderung - ich wage es kaum auszudrücken - möglicherweise sogar mit steuerlichen Mitteln nicht mehr notwendig wäre .”[439]
Auch wenn die Wohnraumversorgung in ländlichen Regionen am Ende des Jahrzehnts von offizieller Seite als ausreichend bezeichnet wird, so nimmt der Mangel an preiswerten Wohnraum in den großen Städten immer mehr zu. 1979/80 stellt das Deutsche Studentenwerk (DSW) fest, daß der Wohnungsmarkt für StudentInnen erschöpft ist: “Erstmals wurde bekannt, daß Studenten auf die Aufnahme eines Studiums verzichten mußten, weil sie keine Unterkunft finden konnten .”[440]


[418] MSB Spartakus, Lieber instandbesetzen..., S. 7.
[419] Insgesamt werden in diesem Zeitraum ungefähr 3 Mio. neue Wohnungen gebaut.
[420] Kostenmiete muß nach § 8 Wohnungsbindungsgesetz “alle laufenden Aufwendungen decken, die sich aus Kapital- und Bewirtschaftungskosten zusammensetzen.” Dabei betragen die Bewirtschaftungs- oder Gebrauchskosten der Wohnung (Verwaltungs-, Instandhaltungs- und Betriebskosten) nur ca. 20-30 %, die restlichen 70-80 % “sind dagegen Kosten, die aus dem Warencharakter der Wohnung entstehen.” Das sind die sog. Kapitalkosten: hier beträgt allein der Anteil der Kosten für Fremdmittel (= Zinsen für Bankdarlehen) über 50 % an der gesamten Kostenmiete. “Die Kostenmiete enthält somit keineswegs nur tatsächlich entstandene Kosten, sondern auch erhebliche Profite der Bauindustrie, der kreditgebenden Banken sowie der Wohnungseigentümer”, vgl. auch: Dähne, E., Gemeindeleute, S. 93 ff.
[421] Vgl. Ebenda, S. 90.
[422] MSB Spartakus, Lieber instandbesetzen..., S. 7 ff.
[423] Das Kriterium hierfür ist ein Wohnungsdefizit von weniger als 3 %.
[424] “Man hatte einfach jedes Mansardenloch, Ställe, Waschküchen, Garagen usw. als Wohnungen gezählt, um ein Gesetz zugunsten des Profits durchsetzen zu können”, MSB Spartakus, Lieber instandbesetzen..., S. 8.
[425] Die RP vom 30.9.70 nennt folgende Zahlen: Danach sind die Bodenpreise in Hamburg zwischen 1956 und 1970 um 800 Prozent gestiegen. Und “im Bundesdurchschnitt stiegen von 1962 bis 1970 die Mieten für Altbauwohnungen um 70 und die für Neubauwohnungen um mehr als 50 Prozent.” 40 Millionen MieterInnen gibt es diesen Angaben zur Folge 1970 in der BRD (bei einer Gesamtbevölkerung von 60.650.000, vgl. Lehmann, H.G., Chronik der BRD, S. 189).
[426] Vgl. MSB Spartakus, Lieber instandbesetzen..., S. 8.
[427] RP, 30.9.70.
[428] Ebenda.
[429] Vgl. Lehmann, H.G., Chronik der BRD, S. 148.
[430] Fülberth, G., Leitfaden durch die Geschichte der BRD, S. 75.
[431] Vgl. ebenda, S. 75.
[432] Vgl. ebenda, S. 88.
[433] Lehmann, H.G., Chronik der BRD, S. 149 ff.
[434] Ebenda, S. 150.
[435] “Nach dem BBauG in alter Fassung wurde die Bürgerbeteiligung erst möglich, wenn der Plan im wesentlichen schon ‘stand’ und der fertige Entwurf ausgelegt wurde. Jetzt heißt es (§ 2a, Abs. 2): ‘Die Gemeinde hat die allgemeinen Ziele und Zwecke der Planung öffentlich darzulegen. Sie hat allgemein Gelegenheit zur Äußerung und zur Erörterung zu geben (Anhörung). Öffentliche Darlegung und Anhörung sollen in geeigneter Weise und möglichst frühzeitig erfolgen...’.” Letztendlich behält jedoch die Verwaltung alle Fäden in der Hand: Auch wenn die vorgebrachten “Anregungen und Bedenken ” der BürgerInnen “erheblich” sein sollten, brauchen sie bei der weiteren Planung nicht berücksichtigt zu werden, vgl. Dähne, E., Geimeindeleute, S. 63 ff.
[436] Landeshauptstadt Düsseldorf, Beiträge zur Stadtentwicklung und Stadtgforschung, Wohnungspolitische Anhörung, Wohnungspolitische Anhörung, Nr. 19, S. 97.
[437] Ebenda, S. 98.
[438] Ebenda, S. 98.
[439] Ebenda, S. 98.
[440] MSB Spartakus, Lieber instandbesetzen..., S. 4.


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