Nach 1945 herrscht in den westlichen
Besatzungszonen eine enorme Wohnungsnot. 2,3 Millionen der 1939
vorhandenen 11 Millionen Wohnungen wurden im 2. Weltkrieg durch
Bombenangriffe zerstört. Dazu kommen bis 1950 ungefähr 10
Millionen Flüchtlinge und AussiedlerInnen, die untergebracht
werden müssen. Die Belegungsdichte verdoppelt sich beinahe
innerhalb von 10 Jahren von 3,6 auf 6 Personen pro Wohnung. Es
wird schnell damit begonnen, vorhandenen Wohnraum mit Hilfe von
Mietbestimmungen aus der Weimarer Republik - Wohnraumverteilung
durch Wohnungsämter, festgelegte Mietobergrenzen, relativer
Kündigungsschutz - zu verteilen und neuen zu schaffen. Zum einen
wird der soziale Sprengstoff, den die herrschenden Wohnungsnot
birgt, befürchtet, zum anderen sieht man “in der
Bauindustrie eine Schlüsselindustrie zur Ankurbelung der
Wirtschaft und zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit .”[418] Im ‘Ersten
Wohnungsbaugesetz’ von 1950 wird der soziale Wohnungsbau mit
Hilfe von zinsgünstigen Darlehen, Zuschüssen und staatlichen
Darlehen massiv gefördert. Dadurch entstehen zwischen 1951 und
1956 tatsächlich ca. 2,1 Millionen sozial geförderte Wohnungen.
[419] Nachdem die größte
Wohnungsnot beseitigt ist, werden 1956 im ‘Zweiten
Wohnungsbaugesetz’ die Mietbindungen im sozial geförderten
Wohnungsbau durch die Einführung der Kostenmiete [420] gelockert. Gleichzeitig
verlagert sich der Schwerpunkt der staatlichen Subventionen immer
mehr in Richtung Eigenheimbau, für den erstmals Anfang der
sechziger Jahre mehr Mittel bereitgestellt werden als für den
sozialen Wohnungsbau. [421]
“Offen sprach der damalige CDU-Wohnungsbauminister Paul Lücke
die politischen Motive dieser Schwerpunktverlagerung aus: ‘Unsere
bedrohte Lage am Eisernen Vorhang erfordert mehr denn je
persönliches Eigentum in den Händen breiter Kreise. Das
Eigentum an Grund und Boden ist die sicherste und
ursprünglichste Form des Eigentums überhaupt’ .”[422]
In dem als Lückeplan bekanntgewordenen ‘Gesetz
über den Abbau der Wohnungszwangswirtschaft’ werden 1960 der
MieterInnenschutz weitgehend aufgehoben und die Mieten in den
Gebieten, in denen der Wohnungsbedarf als gedeckt angesehen wird [423], freigegeben. Das
statistische Bundesamt erklärt bereits im folgenden Jahr 397 von
765 Kreisen der BRD zu sogenannten ‘weißen Kreisen’
(Lücke), in denen die Wohnungszwangswirtschaft aufgehoben wird.
Erst 1968 wird bei einer Wohnungszählung festgestellt, daß
Lücke acht Jahre zuvor “kurzerhand 750.000 Wohnungen zuviel
eingerechnet hatte .”[424]
Aber das Ziel ist erreicht: Zwischen 1960 und 1970 verdoppeln
sich die Mieten, von 1962 bis 1969 die Bodenpreise in der BRD. [425] Um diese für die Mehrzahl
der MieterInnen bedrohliche Entwicklung etwas auszugleichen und -
vor allem - die zahlungsfähige Nachfrage nach Wohnraum nicht
zusammenbrechen zu lassen, wird 1963 das ‘Wohngeldgesetz’
verabschiedet, mit dessen Hilfe die ständig steigenden
Mietzahlungen an HauseigentümerInnen auf Kosten von
Steuergeldern garantiert werden. [426]
Die Situation auf dem Wohnungsmarkt jedenfalls
kann im Jahre 1970 getrost als katastrophal bezeichnet werden. In
der gesamten BRD formieren sich Massenproteste gegen
Mieterhöhungen und Wohnungsnot. Im Oktober ruft der Deutsche
Mieterbund zum ersten Mal in seiner Geschichte zu einer
überregionalen Protestkundgebung auf, zu der mindestens 10.000
MieterInnen erwartet werden. Auch ungewöhnliche Protestformen
wie Hausbesetzungen, happenings etc. vor allem von
StudentInnen, finden häufig Beifall in der Bevölkerung. “Was
Rudi Dutschke vergeblich erhoffte, was dem SDS nie gelang,
schaffen zur Zeit protestierende Studenten fast mühelos: Den
Beifall des Bürgers, die Solidarisierung von Arbeitern,
Angestellten und Beamten .”[427]
Aber auch ‘beim einfachen Bürger’ wächst die Neigung zu
illegalen Protestformen. “Ob die Pläne der Bundesregierung
für eine Mietenreform die Situation auf dem Wohnungsmarkt
verbessern können, ist fraglich. Dem ‘Marsch auf Bonn’, mit
dem die ‘Düsseldorfer Mieter-Solidarität’ droht, würden
sich wahrscheinlich auch andere Organisationen anschließen.
Alarmierender jedoch ist das verbreitete Gefühl bei vielen
Mietern, man könne Gesetzesverstöße in Kauf nehmen, da man
moralisch im Recht sei: So traten gestern 50 Mieter der
städtischen Wohnungsbaugesellschaft in Weiden (Oberpfalz) in
einen Zahlungsstreik. Ihre Mieten waren um 20 Prozent erhöht
worden .”[428]
Ab 1969/70 verändert sich die Situation mit dem Beginn der
sozialliberalen Koalition und dem immer stärker werdenden Druck
durch MieterInneninitiativen und Hausbesetzungen etwas. Durch das
‘Städtebauförderungsgesetz’ von 1971 werden öffentliche
Mittel für Sanierungsmaßnahmen in den Kommunen zur Verfügung
gestellt. [429] Allerdings ist
das Gesetz weitgehend ‘wertfrei’: So können die geförderten
baulichen Eingriffe “ebenso in der Zerstörung vorhandener
Substanz wie in ihrer auch ästhetisch gelungenen Pflege und
Wiederherstellung bestehen .”[430]
Ob letztere Variante zum Tragen kommt, hängt oft nicht zuletzt
von der Stärke der BürgerInneninitiativen ab, die - zusammen
mit aufgeschlossenen KommunalpolitikerInnen und
VerwaltungsbeamtInnen - in manchen Orten eine Verschönerung und
bessere Wohnqualität der Stadtkerne erreichen können.
Im ‘Ersten Wohnraumkündigungsschutzgesetz’ vom 25. November
1971 wird festgelegt, daß MieterInnen auf Dauer von
Mietforderungen geschützt sind, die über den ortsüblichen
Sätzen liegen (Vergleichsmietenregelung). Wichtigstes Kernstück
des Gesetzes ist das Verbot von Kündigungen, die zum Zweck der
Mietsteigerung ausgesprochen werden. [431] Das Gesetz, das ursprünglich auf drei
Jahre Geltungsdauer befristet ist, wird unter der sozialliberalen
Regierung Schmidt am 18. Dezember 1974 auf unbegrenzte Zeit
verlängert. [432]
Das Wohnungsmodernisierungsgesetz vom 23. August 1976 hat zum
Ziel, durch Zuschüsse und Darlehen “die Qualität älterer
Wohnungen zu verbessern, ihren Gebrauchswert zu erhöhen und die
Mieten zu stabilisieren .”[433]
Als letztes (wohnungs)baupolitisches Gesetz der sozialliberalen
Koalition tritt schließlich am 1. Januar 1977 eine Novelle zum
Bundesbaugesetz von 1960 in Kraft. Die Gemeinden erhalten
erweiterte Rechte z.B. in Bau-, Nutzungs-, Instandsetzungs-,
Abbruch- und Modernisierungsangelegenheiten. Mit Hilfe von
Sozialplänen sollen künftig die Auswirkungen eines
Bebauungsplanes z.B. für ‘umgesetzte’ MieterInnen -
allerdings unter Berücksichtigung von Bodenwertsteigerungen -
ausgeglichen werden. Außerdem sollen die BürgerInnen in Zukunft
über die Bauleitplanung ‘rechtzeitig’ informiert werden. [434] Von einer wirklichen ‘BürgerInnen-Beteiligung’
am Planungsverfahren kann allerdings keine Rede sein. [435]
Im März 1979 plant die Bundesregierung, die
Finanzhilfen für den sozialen Wohnungsbau zu reduzieren. Von den
Kommunen werde erwartet, daß sie “in Entlastung des Bundes
mehr aus eigenen Mitteln für den Wohnungsbau täten .”[436] Dagegen wehren sich vor
allem die größeren Städte, in denen das Problem der
Unterversorgung mit preiswertem Wohnraum für einkommenschwache
Bevölkerungsgruppen - wie kinderreiche Familien, Arbeitslose,
Behinderte, StudentInnen etc. - am gravierendsten ist. Ein
Sprecher des Deutschen Städtetages weist im Rahmen einer
wohnungspolitischen Tagung in Düsseldorf am 23. März 1979
darauf hin, daß in diesem Jahr nur runde 1,5 Milliarden DM des
Bundes in die generelle Wohnungsbauförderung fließen, während
alleine die steuerlichen Vergünstigungen und Bausparzuschüsse
für ‘HäuslebauerInnen’ im gleichen Zeitraum 6 Milliarden DM
betragen. “So führt die eigentlich allgemein gewährte
steuerliche Förderung des Wohnungsbaues tatsächlich zu einer
Hinlenkung des Wohnungsbaues in die Gebiete, in denen die
steuerliche Förderung mit geringen Schwierigkeiten, mit geringen
Kosten zusammentrifft .”[437]
Staatlich gefördert wird Wohnungsneubau also vor allem auf dem
Land, als Eigenheimbau, auf jeden Fall dort, wo kein drastischer
Mangel an günstigem Wohnraum herrscht und auch die Bodenpreise
viel niedriger sind. “Die Städte haben die Belastungen aus
dem Verkehr, (...) aus dem Verschwinden der Einwohner auch als
finanzstatistisches Merkmal .”[438] Der Vertreter des Städtetages zieht
daraus die Konsequenz, “daß es in der Tat weite Teile der
Bundesrepublik gibt, (...) in denen eigentlich eine öffentliche
Wohnungsbauförderung - ich wage es kaum auszudrücken -
möglicherweise sogar mit steuerlichen Mitteln nicht mehr
notwendig wäre .”[439]
Auch wenn die Wohnraumversorgung in ländlichen Regionen am Ende
des Jahrzehnts von offizieller Seite als ausreichend bezeichnet
wird, so nimmt der Mangel an preiswerten Wohnraum in den großen
Städten immer mehr zu. 1979/80 stellt das Deutsche Studentenwerk
(DSW) fest, daß der Wohnungsmarkt für StudentInnen erschöpft
ist: “Erstmals wurde bekannt, daß Studenten auf die
Aufnahme eines Studiums verzichten mußten, weil sie keine
Unterkunft finden konnten .”[440]
[418] MSB Spartakus, Lieber instandbesetzen..., S. 7.
[419] Insgesamt werden in diesem Zeitraum ungefähr 3 Mio.
neue Wohnungen gebaut.
[420] Kostenmiete muß nach § 8 Wohnungsbindungsgesetz “alle
laufenden Aufwendungen decken, die sich aus Kapital- und
Bewirtschaftungskosten zusammensetzen.” Dabei betragen die
Bewirtschaftungs- oder Gebrauchskosten der Wohnung (Verwaltungs-,
Instandhaltungs- und Betriebskosten) nur ca. 20-30 %, die
restlichen 70-80 % “sind dagegen Kosten, die aus dem
Warencharakter der Wohnung entstehen.” Das sind die sog.
Kapitalkosten: hier beträgt allein der Anteil der Kosten für
Fremdmittel (= Zinsen für Bankdarlehen) über 50 % an der
gesamten Kostenmiete. “Die Kostenmiete enthält somit
keineswegs nur tatsächlich entstandene Kosten, sondern auch
erhebliche Profite der Bauindustrie, der kreditgebenden Banken
sowie der Wohnungseigentümer”, vgl. auch: Dähne, E.,
Gemeindeleute, S. 93 ff.
[421] Vgl. Ebenda, S. 90.
[422] MSB Spartakus, Lieber instandbesetzen..., S. 7 ff.
[423] Das Kriterium hierfür ist ein Wohnungsdefizit von
weniger als 3 %.
[424] “Man hatte einfach jedes Mansardenloch, Ställe,
Waschküchen, Garagen usw. als Wohnungen gezählt, um ein Gesetz
zugunsten des Profits durchsetzen zu können”, MSB
Spartakus, Lieber instandbesetzen..., S. 8.
[425] Die RP vom 30.9.70 nennt folgende Zahlen: Danach sind
die Bodenpreise in Hamburg zwischen 1956 und 1970 um 800 Prozent
gestiegen. Und “im Bundesdurchschnitt stiegen von 1962 bis
1970 die Mieten für Altbauwohnungen um 70 und die für
Neubauwohnungen um mehr als 50 Prozent.” 40 Millionen
MieterInnen gibt es diesen Angaben zur Folge 1970 in der BRD (bei
einer Gesamtbevölkerung von 60.650.000, vgl. Lehmann, H.G.,
Chronik der BRD, S. 189).
[426] Vgl. MSB Spartakus, Lieber instandbesetzen..., S. 8.
[427] RP, 30.9.70.
[428] Ebenda.
[429] Vgl. Lehmann, H.G., Chronik der BRD, S. 148.
[430] Fülberth, G., Leitfaden durch die Geschichte der BRD,
S. 75.
[431] Vgl. ebenda, S. 75.
[432] Vgl. ebenda, S. 88.
[433] Lehmann, H.G., Chronik der BRD, S. 149 ff.
[434] Ebenda, S. 150.
[435] “Nach dem BBauG in alter Fassung wurde die
Bürgerbeteiligung erst möglich, wenn der Plan im wesentlichen
schon ‘stand’ und der fertige Entwurf ausgelegt wurde. Jetzt
heißt es (§ 2a, Abs. 2): ‘Die Gemeinde hat die allgemeinen
Ziele und Zwecke der Planung öffentlich darzulegen. Sie hat
allgemein Gelegenheit zur Äußerung und zur Erörterung zu geben
(Anhörung). Öffentliche Darlegung und Anhörung sollen in
geeigneter Weise und möglichst frühzeitig erfolgen...’.” Letztendlich
behält jedoch die Verwaltung alle Fäden in der Hand: Auch wenn
die vorgebrachten “Anregungen und Bedenken ” der
BürgerInnen “erheblich” sein sollten, brauchen sie
bei der weiteren Planung nicht berücksichtigt zu werden, vgl.
Dähne, E., Geimeindeleute, S. 63 ff.
[436] Landeshauptstadt Düsseldorf, Beiträge zur
Stadtentwicklung und Stadtgforschung, Wohnungspolitische
Anhörung, Wohnungspolitische Anhörung, Nr. 19, S. 97.
[437] Ebenda, S. 98.
[438] Ebenda, S. 98.
[439] Ebenda, S. 98.
[440] MSB Spartakus, Lieber instandbesetzen..., S. 4.