2.4 Die Wohnsituation

Die Wohnungssituation in Düsseldorf nach dem Krieg ist verheerend. “Offiziell waren 25.000 Wohnungssuchende gemeldet, die Stadtverwaltung schätzte den Wohnungsbedarf auf 10.000 Einheiten .” [234] Verantwortlich für das geringe Wohnungsangebot sind mehrere Faktoren:

  1. Während des Krieges wurden keine neuen Wohnungen gebaut.
  2. Der Kommune stehen in den Jahren nach dem Krieg kaum Mittel zum Bau einer ausreichend großen Anzahl von Wohnungen zur Verfügung.
  3. Viele HausbesitzerInnen haben kaum finanzielle Möglichkeiten, ihre Häuser instand zu halten. [235]
  4. Die unsichere wirtschaftliche und politische Lage wirkt sich dämpfend auf neue Investitionen aus.
  5. Die EinwohnerInnenzahl Düsseldorfs steigt nach dem Krieg in beträchtlichem Umfang, und zwar von 390.000 im Jahre 1917 auf 480.000 im Jahre 1919. [236]


Die Düsseldorfer EinwohnerInnenzahlen von 1914 bis 1932:


[237]

Nach einer Vorschrift des Bundesrates gründet die Stadt Ende 1918 das Wohnungsamt. Die Stadtverwaltung ist nun berechtigt, Wohnungen zu rationalisieren, zu beschlagnahmen, und umzuverteilen. [238] Bis 1921 werden durch Maßnahmen der ‘Wohnraumzwangswirtschaft’ jedoch lediglich 2.000 Wohnungen dem Wohnungsmarkt zur Verfügung gestellt. [239]
Im Jahre 1919 wird die Stadt erstmals durch eine “ Reichsverordnung zur Behebung der dringensten Wohnungsnot [240] in die Pflicht genommen. [241] Ab 1923 haben die Gemeindebehörden “ vielfältige Aufgaben in der Zwangsbewirtschaftung von Wohnraum zu erfüllen. (...) zusammengefaßt handelt es sich um:
a) Erhaltung des vorhandenen Wohnraumes
b) Erfassung des vorhandenen Wohnraumes
c) Einflußnahme auf die Nachfrage nach Wohnungen
(Zuzugssperre etc.)
d) Vergebung des Wohnraumes
e) Mieterschutz
f) Einfluß auf Mietzinsbildung .”[242]
Um die wohnungslosen Menschen von der Straße zu bekommen, richtet die Stadt Notunterkünfte in Kasernen und sogar auf Dachböden ein - kaum eine Möglichkeit wird außer Betracht gelassen. Dennoch ist man nicht in der Lage, die 25.000 gemeldeten Obdachlosen unterzubringen. Die Stadtverwaltung ist sich jedoch darüber im klaren, daß der “ eigentliche Weg aus der Wohnungsnot (...) nur die Erstellung von Neubauten [sein kann] .[243]
Die große Wohnungsnot spaltet die Stadtverordnetenversammlung. [244] Liberale, DVP, DDP, DNVP und Wirtschaftsbund [245] kämpfen entschieden für eine Abschaffung der ‘Zwangswirtschaft’ d.h., Mietfestschreibungen, Genehmigungspflicht bei Mietvertragsänderungen und Verwendungsvorschriften für Wohnraum. Das Zentrum fordert den genossenschaftlichen Wohnungsbau, Siedlungen mit kleinen Häusern und Gärten zur Selbstversorgung. MSPD, USPD und KPD fordern kostendeckenden ‘Regiebau’ durch die Stadtverwaltung.
Insgesamt werden bis 1923 von Industrie und Handel 460, dem Reich 430, gemeinnützigen Gesellschaften 522 und privaten Bauherrn 177 Wohnungen gebaut. [246]


In Düsseldorf werden, anders als in Städten wie Berlin oder Köln, 1923 nur 856 neue Wohnungen gebaut. 1913 waren es noch 3.576 (vgl. auch Tabelle oben betr. den “Reinzugang von Wohnungen in deutschen Städten [247]).
Im Jahre 1922 werden aus dem Regierungsbezirk Düsseldorf folgende Verhältnisse gemeldet: “Bei den äußerst schwierigen Verhältnissen auf dem Wohnungsmarkt gestaltete sich auch die Unterbringung der Arbeiter immer schwieriger, so daß man hier und dort zu nicht einwandfreien Notbehelfen griff, so in einem Stahl- und Walzwerk, dessen etwa 350 von einem Unternehmer beschäftigte auswärtige Arbeiter in zwei Wirtschaftssälen, einer Kegelbahn und auf einem Speicher untergebracht waren. In diesen Unterkunftsräumen fehlte es an Bettzeug, Sitzgelegenheit, Wasch- und Eßgeschirren sowie ausreichender Heizung .”[248]
In vielen Gegenden Düsseldorfs gab es nach dem Krieg “Straßenzüge, die die Merkmale von schmutzigen Slums annahmen und deren Vermieter und Bewohner (...) diese Entwicklung durchaus hinnahmen [249]
Die Wohnungsnot bildet bis Mitte der 20er Jahre das größte soziale Problem in der Stadt. In den Jahren 1925/1926 gibt es immer noch 10.495 Haushalte ohne eigene Wohnung. Viele Wohnungen sind absolut überbelegt. “ Es gab zum Beispiel in der Ulmen- und in der Färberstraße Obdachlosenasyle und in der alten Kaserne in der Neusser Straße eine Notunterkunft, in denen zusammen rund 970 Familien hausten. Hinterhöfe waren mit Wohnbaracken verstellt und ehemalige Trockenspeicher als Mansarden umgebaut .”[250]
Jahre nach dem Ende des Krieges hat sich der Wohnungsmarkt in Düsseldorf eher verschlechtert als verbessert. “ Das Wohnungsamt war trotz redlicher Bemühungen 1925 machtlos, es war kaum in der Lage, den auf gerichtlichem Weg auf die Straße gesetzten Mietern eine Ersatzunterkunft zu beschaffen. Selbst die ihm zur Verfügung stehenden Baracken und Notwohnungen waren belegt. [251]
Erst als ab Mitte 1925 eine Geldwertstabilisierung eintritt, zeichnet sich eine Besserung der Situation ab. Mit Hypotheken der Stadtsparkasse können 1.264 Neubauten gefördert werden. “ Die Zahl der Bauwilligen, die nun Hoffnung schöpften, nahm wieder zu, weswegen die angebotenen Kredite rasch aufgezehrt waren. [252] Der Staat weist Düsseldorf weitere 643.000 Mark zu, auf deren Grundlage “ 409 Wohnungen durch Genossenschaften, 621 privat und 909 durch die Stadt selbst, darunter unter anderem 102 in der Zieten-, Mauer- und Konkordiastraße errichtet [253] werden. Für 1926 sind weitere 600 Wohnungen geplant. In diesem Jahr können außerdem neue Kredite angesammelt werden, so daß 1927 ein Umschwung auf dem Wohnungsmarkt eintritt. Es werden “ 4.208 Projekte aus der Hauszinssteuer finanziert, 2.400 offiziell gefördert und 522 durch private gebaut [254].
Wohnungszwangswirtschaft und Hilfe bei der Neubaufinanzierung, das waren die beiden Instrumente des Staates zur Bekämpfung der Wohnungsnot. Den Gemeinden war die Durchführung der dazu erlassenden Gesetze übertragen worden .”[255]
Nach den kleinen Erfolgen der vergangenen Jahre soll nun mit Hilfe eines großangelegten Bauprogramms, das am 13. November 1928 ohne Gegenstimme im Stadtrat beschlossen wird, die Wohnungsnot in Düsseldorf [256] beendet werden. Der Zentrumspolitiker Drösser beschreibt die Ziele des Programms folgendermaßen:
1. Es soll in erster Linie ein soziales Bauprogramm sein. Die Not in Kellerwohnungen, Dachkammerwohnungen und Obdachlosenasylen soll endgültig verschwinden.
2. Es soll ferner ein Angebot für Zahlungs w i l l i g e mit begrenzter Zahlungs f ä h i g k e i t sein.
3. Es soll trotzdem ein wirtschaftliches Programm sein.” [257]
Bis 1932 plant die Stadt den Bau von “ 12.000 billigen und soliden Wohnungen .”[258] Mit diesem großen Bauvorhaben wird für 1932 mit einem Ende der Wohnungsnot gerechnet, “wenn nichts Unvorhergesehenes dazwischenkommt .”[259]
Mit der Weltwirtschaftskrise tritt bereits ab 1929 das ‘Unvorhergesehene’ ein und die Stadt muß den Wohnungsbau stark einschränken. Letztendlich bewältigt die Stadt - 1930 mit 3.307 Wohnungen, 1931 mit 2.165 Wohnungen und 1932 mit 778 Wohnungen - rund zwei Drittel der Bauvorhaben [260]. Trotz der schlechten wirtschaftlichen Situation erstellt die Stadt zwischen 1926 und 1932 rund 17.000 Wohnungen für ungefähr 60.000 Menschen [261] , eine Leistung, mit der sich die faschistischen Bürgermeister in späterer Zeit unverdienterweise gerne schmücken werden.
Für tausende von Menschen ist damit das Problem der Wohnungsnot jedoch nicht gelöst. Zum einen sind die EinwohnerInnenzahlen Düsseldorfs wesentlich stärker gestiegen als das Wohnraumangebot, zum anderen sind - während der Weltwirtschaftskrise - “die angeblich so billigen Wohnungen offenbar immer noch zu teuer für viele Interessenten .”[262]
Das Wohnungsamt vermittelt, im Vertrauen auf das wachsende Angebot an Wohnraum als Folge der städtischen und privaten Aktivitäten [263], bereits seit 1927 keine Wohnungen mehr. [264] Die Wohnungszwangswirtschaft wird, wie von den rechten Parteien gefordert, aufgehoben, obwohl man sich im Wohnungsamt darüber im klaren ist, daß weiterhin kleinere, billige Wohnungen gebaut werden müssen. Im Jahre 1931 geht dann, aufgrund der drastischen Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation, die Nachfrage nach mittleren Wohnungen zurück. Die Menschen müssen ihre Lebensverhältnisse stark einschränken, ein Sturmlauf auf kleine und kleinste Wohnungen ist zu verzeichnen. [265]
Die Erwerbslosigkeit führt vielerorts zu Mietrückständen und in deren Folge zu unzähligen Räumungsklagen. “(...) Zwangsräumungen, auch aus städtischen Wohnungen waren so sehr an der Tagesordnung, daß sie keinerlei wesentliche Proteste mehr hervorriefen .”[266] Die Zahl der Wohnungslosen und Wohnungssuchenden wächst stetig.
Tausende von Arbeitslosen und Geringverdienenden, die keine bezahlbare Wohnung finden können, haben unter diesen Bedingungen kaum eine andere Wahl, als an den Randgebieten der Stadt oder in Kleingartenkolonien mehr oder weniger legal zu siedeln.


[234] Weidenhaupt, H., Düsseldorf-Geschichte, Band 3, S.272. Die Zahl bezieht sich auf das Jahr 1919.
[235] Andere hatten kein Interesse an einer Sanierung, da dies keine höheren Profite versprach.
[236] “Zum einen war 1919 ein Geburtenüberschuß zu verzeichnen, (...) zum anderen verbesserten sich allmählich die Lebenserwartungen der Älteren, und schließlich wuchs mit der Stabilisierung des Arbeitsmarktes im Herbst 1919 die Zuwanderung zur Stadt. (...) [Darunter befanden sich] Flüchtlinge und Ausgewiesene aus Elsaß-Lothringen, versetzte Beamte, Facharbeiter und Ingenieure,...” Weidenhaupt, H., Düsseldorf-Geschichte, Band 3, S. 272.
[237] Die Zahlen sind entnommen aus: Weidenhaupt, H., Düsseldorf-Geschichte, Band 3.
[238] Pro Erwachsenen 2qm Fläche bzw 5 cbm Luftraum Schlafraum oder 3qm bzw 7.5 cbm Schlaf/Wohnraum
[239] Leerstand scheint es nicht in großem Maße zu geben. Dem Wohnungsamt sind 1919 lediglich 190 Leerstände von Wohnungen bekannt. - vgl. Weidenhaupt, H., Düsseldorf-Geschichte, Band 3, S. 273.
[240]Jachmann, H., Düsseldorf in der Weltwirtschaftskrise, S. 206.
[241] Zu dieser Zeit gab es in Düsseldorf ein Defizit von 10.000 Wohnungen.
[242]Jachmann, H., Düsseldorf in der Weltwirtschaftskrise, S. 206.
[243]Ebenda, S. 207.
[244] “Das Düsseldorfer Parteiensystem, und damit auch die Stadtverordnetenversammlung, waren nicht, wie sonst im Reich, in drei Lager: die Linke (USPD/KPD), die Mitte (SPD, DDP und Zentrum) und die Rechte (DVP/DNVP, später NSDAP) aufgeteilt, sondern von vorneherein nur in zwei: eine starke revolutionäre Linke, die KPD, und eine weitgehend antirepublikanische Rechte, DVP/DNVP und rechtes Zentrum", Weidenhaupt, H., Düsseldorf-Geschichte, Band 3, S. 318.
[245] Rechtslastige, parteipolitische Lobby des Haus- und Grundbestzervereins, sowie des Hotel- und Gaststättengewerbes, vgl. ebenda, S. 362 ff.
[246] Vgl. ebenda, S. 274.
[247] Kuczynski, J., Geschichte des Alltags des deutschen Volkes, S. 384.
[248] Ebenda, S. 385
[249] [Oder hinnehmen müssen? d.V.] Weidenhaupt, H., Düsseldorf-Geschichte, Band 3, S. 273.
[250]Ebenda , S. 390.
[251]Ebenda , S. 392.
[252] Ebenda , S. 392.
[253] Ebenda , S. 392.
[254] Ebenda , S. 392.
[255]Jachmann, H., Düsseldorf in der Weltwirtschaftskrise, S. 207.
[256] (Oberbürgemeister Dr. Lehr) vgl. ebenda, S. 219.
[257]Ebenda, S. 220.
[258] Weidenhaupt, H., Düsseldorf-Geschichte, Band 3, S. 392.
[259](So Oberbürgermeister Dr. Lehr). Jachmann, H., Düsseldorf in der Weltwirtschaftskrise,
S. 222.
[260]Von den geplanten 12.000 Neubauwohnungen waren bis 1932 nur 8.785 erstellt worden. ” Ebenda, S. 221.
[261]So entstanden unter anderem die großen Wohnhausblöcke in der Kaiserswerther Straße, Cecilienallee, am Golzheimer Platz, in der Boltenstraße, ferner die Reihenhäuser in der Fritz-Reuter- und in der Volmerswerther Straße .” Weidenhaupt, H., Düsseldorf-Geschichte, Band 3, S. 393.
[262] Jachmann, H., Düsseldorf in der Weltwirtschaftskrise, S. 224.
[263] Vgl. Kapitel C. I. 2.4 (Die Situation in Düsseldorf - Die Wohnsituation).
[264] “Das Problem der Wohnungsnot hatte die Verwaltung geglaubt, mit Hilfe des letzten Bauprogramms von 1929 endgültig bewältigen zu können.” Jachmann, H., Düsseldorf in der Weltwirtschaftskrise, S. 339.
[265] Vgl. ebenda, S. 340 ff, vgl. auch S. 202 ff.
[266] Novy, K., u.a., Reformführer NRW, S. 329.


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