Die Wohnungssituation in Düsseldorf nach dem
Krieg ist verheerend. “Offiziell waren 25.000
Wohnungssuchende gemeldet, die Stadtverwaltung schätzte den
Wohnungsbedarf auf 10.000 Einheiten .” [234] Verantwortlich für das
geringe Wohnungsangebot sind mehrere Faktoren:
Die Düsseldorfer EinwohnerInnenzahlen von 1914 bis 1932:
Nach einer Vorschrift des Bundesrates gründet
die Stadt Ende 1918 das Wohnungsamt. Die Stadtverwaltung ist nun
berechtigt, Wohnungen zu rationalisieren, zu beschlagnahmen, und
umzuverteilen. [238] Bis 1921
werden durch Maßnahmen der ‘Wohnraumzwangswirtschaft’ jedoch
lediglich 2.000 Wohnungen dem Wohnungsmarkt zur Verfügung
gestellt. [239]
Im Jahre 1919 wird die Stadt erstmals durch eine “ Reichsverordnung
zur Behebung der dringensten Wohnungsnot ”[240] in die Pflicht genommen. [241] Ab 1923 haben die Gemeindebehörden “ vielfältige
Aufgaben in der Zwangsbewirtschaftung von Wohnraum zu erfüllen.
(...) zusammengefaßt handelt es sich um:
a) Erhaltung des vorhandenen Wohnraumes
b) Erfassung des vorhandenen Wohnraumes
c) Einflußnahme auf die Nachfrage nach Wohnungen
(Zuzugssperre etc.)
d) Vergebung des Wohnraumes
e) Mieterschutz
f) Einfluß auf Mietzinsbildung .”[242]
Um die wohnungslosen Menschen von der Straße zu bekommen,
richtet die Stadt Notunterkünfte in Kasernen und sogar auf
Dachböden ein - kaum eine Möglichkeit wird außer Betracht
gelassen. Dennoch ist man nicht in der Lage, die 25.000
gemeldeten Obdachlosen unterzubringen. Die Stadtverwaltung ist
sich jedoch darüber im klaren, daß der “ eigentliche Weg
aus der Wohnungsnot (...) nur die Erstellung von Neubauten [sein
kann] .”[243]
Die große Wohnungsnot spaltet die Stadtverordnetenversammlung. [244] Liberale, DVP, DDP, DNVP
und Wirtschaftsbund [245]
kämpfen entschieden für eine Abschaffung der ‘Zwangswirtschaft’
d.h., Mietfestschreibungen, Genehmigungspflicht bei
Mietvertragsänderungen und Verwendungsvorschriften für
Wohnraum. Das Zentrum fordert den genossenschaftlichen
Wohnungsbau, Siedlungen mit kleinen Häusern und Gärten zur
Selbstversorgung. MSPD, USPD und KPD fordern kostendeckenden ‘Regiebau’
durch die Stadtverwaltung.
Insgesamt werden bis 1923 von Industrie und Handel 460, dem Reich
430, gemeinnützigen Gesellschaften 522 und privaten Bauherrn 177
Wohnungen gebaut. [246]
In Düsseldorf werden, anders als in Städten wie
Berlin oder Köln, 1923 nur 856 neue Wohnungen gebaut. 1913 waren
es noch 3.576 (vgl. auch Tabelle oben betr. den “Reinzugang
von Wohnungen in deutschen Städten ”[247]).
Im Jahre 1922 werden aus dem Regierungsbezirk Düsseldorf
folgende Verhältnisse gemeldet: “Bei den äußerst
schwierigen Verhältnissen auf dem Wohnungsmarkt gestaltete sich
auch die Unterbringung der Arbeiter immer schwieriger, so daß
man hier und dort zu nicht einwandfreien Notbehelfen griff, so in
einem Stahl- und Walzwerk, dessen etwa 350 von einem Unternehmer
beschäftigte auswärtige Arbeiter in zwei Wirtschaftssälen,
einer Kegelbahn und auf einem Speicher untergebracht waren. In
diesen Unterkunftsräumen fehlte es an Bettzeug, Sitzgelegenheit,
Wasch- und Eßgeschirren sowie ausreichender Heizung .”[248]
In vielen Gegenden Düsseldorfs gab es nach dem Krieg “Straßenzüge,
die die Merkmale von schmutzigen Slums annahmen und deren
Vermieter und Bewohner (...) diese Entwicklung durchaus hinnahmen
”[249]
Die Wohnungsnot bildet bis Mitte der 20er Jahre das größte
soziale Problem in der Stadt. In den Jahren 1925/1926 gibt es
immer noch 10.495 Haushalte ohne eigene Wohnung. Viele Wohnungen
sind absolut überbelegt. “ Es gab zum Beispiel in der
Ulmen- und in der Färberstraße Obdachlosenasyle und in der
alten Kaserne in der Neusser Straße eine Notunterkunft, in denen
zusammen rund 970 Familien hausten. Hinterhöfe waren mit
Wohnbaracken verstellt und ehemalige Trockenspeicher als
Mansarden umgebaut .”[250]
Jahre nach dem Ende des Krieges hat sich der Wohnungsmarkt in
Düsseldorf eher verschlechtert als verbessert. “ Das
Wohnungsamt war trotz redlicher Bemühungen 1925 machtlos, es war
kaum in der Lage, den auf gerichtlichem Weg auf die Straße
gesetzten Mietern eine Ersatzunterkunft zu beschaffen. Selbst die
ihm zur Verfügung stehenden Baracken und Notwohnungen waren
belegt. ”[251]
Erst als ab Mitte 1925 eine Geldwertstabilisierung eintritt,
zeichnet sich eine Besserung der Situation ab. Mit Hypotheken der
Stadtsparkasse können 1.264 Neubauten gefördert werden. “ Die
Zahl der Bauwilligen, die nun Hoffnung schöpften, nahm wieder
zu, weswegen die angebotenen Kredite rasch aufgezehrt waren. ”[252] Der Staat weist Düsseldorf
weitere 643.000 Mark zu, auf deren Grundlage “ 409 Wohnungen
durch Genossenschaften, 621 privat und 909 durch die Stadt
selbst, darunter unter anderem 102 in der Zieten-, Mauer- und
Konkordiastraße errichtet ”[253]
werden. Für 1926 sind weitere 600 Wohnungen geplant. In diesem
Jahr können außerdem neue Kredite angesammelt werden, so daß
1927 ein Umschwung auf dem Wohnungsmarkt eintritt. Es werden “ 4.208
Projekte aus der Hauszinssteuer finanziert, 2.400 offiziell
gefördert und 522 durch private gebaut ”[254].
“Wohnungszwangswirtschaft und Hilfe bei der
Neubaufinanzierung, das waren die beiden Instrumente des Staates
zur Bekämpfung der Wohnungsnot. Den Gemeinden war die
Durchführung der dazu erlassenden Gesetze übertragen worden .”[255]
Nach den kleinen Erfolgen der vergangenen Jahre soll nun mit
Hilfe eines großangelegten Bauprogramms, das am 13. November
1928 ohne Gegenstimme im Stadtrat beschlossen wird, die
Wohnungsnot in Düsseldorf [256]
beendet werden. Der Zentrumspolitiker Drösser beschreibt die
Ziele des Programms folgendermaßen:
“1. Es soll in erster Linie ein soziales Bauprogramm sein.
Die Not in Kellerwohnungen, Dachkammerwohnungen und
Obdachlosenasylen soll endgültig verschwinden.
2. Es soll ferner ein Angebot für Zahlungs w i l l i g e mit
begrenzter Zahlungs f ä h i g k e i t sein.
3. Es soll trotzdem ein wirtschaftliches Programm sein.” [257]
Bis 1932 plant die Stadt den Bau von “ 12.000 billigen und
soliden Wohnungen .”[258]
Mit diesem großen Bauvorhaben wird für 1932 mit einem Ende der
Wohnungsnot gerechnet, “wenn nichts Unvorhergesehenes
dazwischenkommt .”[259]
Mit der Weltwirtschaftskrise tritt bereits ab 1929 das ‘Unvorhergesehene’
ein und die Stadt muß den Wohnungsbau stark einschränken.
Letztendlich bewältigt die Stadt - 1930 mit 3.307 Wohnungen,
1931 mit 2.165 Wohnungen und 1932 mit 778 Wohnungen - rund zwei
Drittel der Bauvorhaben [260].
Trotz der schlechten wirtschaftlichen Situation erstellt die
Stadt zwischen 1926 und 1932 rund 17.000 Wohnungen für ungefähr
60.000 Menschen [261] , eine
Leistung, mit der sich die faschistischen Bürgermeister in
späterer Zeit unverdienterweise gerne schmücken werden.
Für tausende von Menschen ist damit das Problem der Wohnungsnot
jedoch nicht gelöst. Zum einen sind die EinwohnerInnenzahlen
Düsseldorfs wesentlich stärker gestiegen als das
Wohnraumangebot, zum anderen sind - während der
Weltwirtschaftskrise - “die angeblich so billigen Wohnungen
offenbar immer noch zu teuer für viele Interessenten .”[262]
Das Wohnungsamt vermittelt, im Vertrauen auf das wachsende
Angebot an Wohnraum als Folge der städtischen und privaten
Aktivitäten [263], bereits
seit 1927 keine Wohnungen mehr. [264]
Die Wohnungszwangswirtschaft wird, wie von den rechten Parteien
gefordert, aufgehoben, obwohl man sich im Wohnungsamt darüber im
klaren ist, daß weiterhin kleinere, billige Wohnungen gebaut
werden müssen. Im Jahre 1931 geht dann, aufgrund der drastischen
Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation, die Nachfrage
nach mittleren Wohnungen zurück. Die Menschen müssen ihre
Lebensverhältnisse stark einschränken, ein Sturmlauf auf kleine
und kleinste Wohnungen ist zu verzeichnen. [265]
Die Erwerbslosigkeit führt vielerorts zu Mietrückständen und
in deren Folge zu unzähligen Räumungsklagen. “(...)
Zwangsräumungen, auch aus städtischen Wohnungen waren so sehr
an der Tagesordnung, daß sie keinerlei wesentliche Proteste mehr
hervorriefen .”[266] Die
Zahl der Wohnungslosen und Wohnungssuchenden wächst stetig.
Tausende von Arbeitslosen und Geringverdienenden, die keine
bezahlbare Wohnung finden können, haben unter diesen Bedingungen
kaum eine andere Wahl, als an den Randgebieten der Stadt oder in
Kleingartenkolonien mehr oder weniger legal zu siedeln.
[234] Weidenhaupt, H., Düsseldorf-Geschichte, Band 3, S.272.
Die Zahl bezieht sich auf das Jahr 1919.
[235] Andere hatten kein Interesse an einer Sanierung, da
dies keine höheren Profite versprach.
[236] “Zum einen war 1919 ein Geburtenüberschuß zu
verzeichnen, (...) zum anderen verbesserten sich allmählich die
Lebenserwartungen der Älteren, und schließlich wuchs mit der
Stabilisierung des Arbeitsmarktes im Herbst 1919 die Zuwanderung
zur Stadt. (...) [Darunter befanden sich] Flüchtlinge und
Ausgewiesene aus Elsaß-Lothringen, versetzte Beamte,
Facharbeiter und Ingenieure,...” Weidenhaupt, H.,
Düsseldorf-Geschichte, Band 3, S. 272.
[237] Die Zahlen sind entnommen aus: Weidenhaupt, H.,
Düsseldorf-Geschichte, Band 3.
[238] Pro Erwachsenen 2qm Fläche bzw 5 cbm Luftraum
Schlafraum oder 3qm bzw 7.5 cbm Schlaf/Wohnraum
[239] Leerstand scheint es nicht in großem Maße zu geben.
Dem Wohnungsamt sind 1919 lediglich 190 Leerstände von Wohnungen
bekannt. - vgl. Weidenhaupt, H., Düsseldorf-Geschichte, Band 3,
S. 273.
[240]Jachmann, H., Düsseldorf in der Weltwirtschaftskrise,
S. 206.
[241] Zu dieser Zeit gab es in Düsseldorf ein Defizit von
10.000 Wohnungen.
[242]Jachmann, H., Düsseldorf in der Weltwirtschaftskrise,
S. 206.
[243]Ebenda, S. 207.
[244] “Das Düsseldorfer Parteiensystem, und damit auch
die Stadtverordnetenversammlung, waren nicht, wie sonst im Reich,
in drei Lager: die Linke (USPD/KPD), die Mitte (SPD, DDP und
Zentrum) und die Rechte (DVP/DNVP, später NSDAP) aufgeteilt,
sondern von vorneherein nur in zwei: eine starke revolutionäre
Linke, die KPD, und eine weitgehend antirepublikanische Rechte,
DVP/DNVP und rechtes Zentrum", Weidenhaupt, H.,
Düsseldorf-Geschichte, Band 3, S. 318.
[245] Rechtslastige, parteipolitische Lobby des Haus- und
Grundbestzervereins, sowie des Hotel- und Gaststättengewerbes,
vgl. ebenda, S. 362 ff.
[246] Vgl. ebenda, S. 274.
[247] Kuczynski, J., Geschichte des Alltags des deutschen
Volkes, S. 384.
[248] Ebenda, S. 385
[249] [Oder hinnehmen müssen? d.V.] Weidenhaupt, H.,
Düsseldorf-Geschichte, Band 3, S. 273.
[250]Ebenda , S. 390.
[251]Ebenda , S. 392.
[252] Ebenda , S. 392.
[253] Ebenda , S. 392.
[254] Ebenda , S. 392.
[255]Jachmann, H., Düsseldorf in der Weltwirtschaftskrise,
S. 207.
[256] (Oberbürgemeister Dr. Lehr) vgl. ebenda, S. 219.
[257]Ebenda, S. 220.
[258] Weidenhaupt, H., Düsseldorf-Geschichte, Band 3, S.
392.
[259](So Oberbürgermeister Dr. Lehr). Jachmann, H.,
Düsseldorf in der Weltwirtschaftskrise,
S. 222.
[260] “ Von den geplanten 12.000 Neubauwohnungen waren
bis 1932 nur 8.785 erstellt worden. ” Ebenda, S. 221.
[261] “ So entstanden unter anderem die großen
Wohnhausblöcke in der Kaiserswerther Straße, Cecilienallee, am
Golzheimer Platz, in der Boltenstraße, ferner die Reihenhäuser
in der Fritz-Reuter- und in der Volmerswerther Straße .”
Weidenhaupt, H., Düsseldorf-Geschichte, Band 3, S. 393.
[262] Jachmann, H., Düsseldorf in der Weltwirtschaftskrise,
S. 224.
[263] Vgl. Kapitel C. I. 2.4 (Die Situation in Düsseldorf -
Die Wohnsituation).
[264] “Das Problem der Wohnungsnot hatte die Verwaltung
geglaubt, mit Hilfe des letzten Bauprogramms von 1929 endgültig
bewältigen zu können.” Jachmann, H., Düsseldorf in der
Weltwirtschaftskrise, S. 339.
[265] Vgl. ebenda, S. 340 ff, vgl. auch S. 202 ff.
[266] Novy, K., u.a., Reformführer NRW, S. 329.