Die ab Mitte der sechziger Jahre stärker
werdende Kritik an den großflächigen ‘Kahlschlag-Sanierungen’
und den Neubausiedlungen an den Stadtperipherie [137] führt zu einem Umdenken in der
Stadterneuerungs- und Wohnungspolitik. Das
Städtebauförderungsgesetz von 1971 sieht die Bereitstellung von
Bundesmitteln für Kommunen vor, die in ausgewiesenen
Sanierungsgebieten eine vorsichtige Erneuerung der Altbausubstanz
bei gleichzeitiger Erstellung eines Sozialplanes für die
BewohnerInnen betreiben. Dadurch soll die Substanz der Altbauten
erhalten [138] und durch die
Aufwertung der innenstadtnahen Viertel die Abwanderung aus den
Großstädten [139]
aufgehalten werden. Um den Preis der Verdrängung
alteingesessener MieterInnen, die die im Zuge der Modernisierung
steigenden Mieten nicht mehr bezahlen können, sollen vor allem
junge, einkommensstarke Familien aus dem Umland wieder in die
Stadt gezogen werden. [140] Da
die öffentlichen Mittel nicht ausreichen, um den Bestand zu
sanieren, sind die Kommunen darauf angewiesen, private
InvestorInnen für die Sanierung zu gewinnen. [141] Zahlreiche private InvestorInnen sehen in
den ‘Aufwertungsgebieten’ Chancen, durch spekulativen
Leerstand oder das ‘Entmieten’ von Wohnungen hohe Profite zu
erzielen. Es kommt zu massiver Spekulation mit Wohnraum, die die
Verdrängung unterer sozialer Schichten aus den betroffenen
Stadtteilen beschleunigt. [142]
Mehrere Studien über die Auswirkungen der Sanierungsprogramme
belegen, daß durch sie keinesfalls ein ‘Back to the
City-Movement’ ausgelöst wurde. Der Abwanderungsprozeß aus
den Städten konnte nicht gestoppt werden. “Die
Sanierungspolitik hat ihre Zielgruppe keineswegs erreicht, wohl
aber eine Umverteilung von Haushalten innerhalb der inneren Stadt
.”[143]
An diesem Punkt setzt die neuere ‘gentrification’-Forschung
an, die von der Grundthese eines Bevölkerungsaustausches
zugunsten einer statushöheren Schicht ausgeht.
Die erste deutsche ‘gentrification’-Studie wird 1988 von Dangschat
und Friedrichs veröffentlicht. [144] Die empirischen Studien beziehen sich
fast ausschließlich auf “innenstadtnahe Wohngebiete mit
Resten gewerblicher Nutzung und einer reizvollen Architektur -
(...) Mehrfamiliengebäude aus der Gründerzeit in Deutschland .”[145] Die AkteurInnen der
gentrification lassen sich nach Dangschat und Friedrichs in
drei Gruppen unterteilen:
Häußermann & Siebel beschreiben die
Gemeinsamkeiten der ‘Pioniere’ und der ‘Gentrifier’: “Einmal
die Young Urban Professionals, die Yuppies. Sie Sind beruflich
erfolgreich und pflegen jenen schick-dynamischen Lebensstil, der
einen Hauch von Freiheit und Luxus verbreitet. Andererseits die
‘Alternativen’. Sie negieren alles Bürgerliche und
propagieren neue Lebens- und Arbeitsformen. Aber obwohl es so
scheint, als gehörten sie zwei verschiedenen Welten an, sind sie
doch aus einer gemeinsamen Wurzel kulturellen Wandels in die Welt
und in unsere Städte gekommen. Diese Wurzel ist die Krise des
bürgerlichen Lebensmodells. Die Innenstädte, einst die
Hochburgen eines stolzen und selbstbewußten Bürgertums,
erfahren ihre Renaissance ausgerechnet aus Strömungen, die alles
andere kultivieren wollen, nur nicht jene ‘methodische
Lebensführung’, die uns seit Max Webers Beschreibung als
kultureller Kern des Bürgerlichen gilt ”.[150]
Der Bevölkerungsaustausch vollzieht sich in fünf ‘Invasionsphasen’.
[151]
In den Phasen 1 und 2 ziehen die risikofreudigen ‘Pioniere’
in das Viertel, in dem zu diesem Zeitpunkt noch ein hoher Anteil
von Haushalten der Unterschicht und unteren Mittelschicht [152] wohnt. In dem Gebiet ist
unter Umständen eine Sanierung geplant, die Grundstückspreise
und Mieten sind niedrig und die Gebäude in einem eher schlechten
Zustand. Ab Phase 2 erhöht sich das Angebot an alternativen
Dienstleistungen - vor allem bei den Kulturangeboten,
Second-Hand- und Bio-Läden, Off-Boutiquen, Restaurants, Kneipen
etc.. Durch diese ‘alternative Aufwertung’ wird das Gebiet
nun auch für andere Gruppen - vor allem die ‘Gentrifier’ -
interessant. [153]
Ab Phase 3 ziehen die ‘Gentrifier’ in das Gebiet und
verdrängen in den folgenden ‘Invasionsphasen’ durch die nun
stattfindende Modernisierung von Wohnungen - in deren Folge die
Grundstückspreise und Mieten stark ansteigen - die
alteingesessene, überwiegend geringverdienende Bevölkerung,
deren Anteil in Phase 5 nur noch mit ca. 10 % angegeben wird. [154]
“Ist durch Begrünung und Verkehrsberuhigung ein Quartier
erst einmal äußerlich und durch die neuen Bewohner auch sozial
‘aufgewertet’, verändert sich sein Stellenwert auf dem
Wohnungsmarkt: die zahlungskräftigeren Yuppies rücken nach,
durchmischen die Szene und ziehen kapitalintensive
Aufwertungsmaßnahmen nach sich, die weit über die Ansprüche
und die finanziellen Möglichkeiten der Revitalisierer
hinausgehen. Nun kann es soweit kommen, daß das Quartier ‘umkippt’
und mehrheitlich von jener Goldkettchen-Seilschaft übernommen
wird, die den urbanen Charakter des Wohngebiets goutiert. Die
Alternativen können also die Funktion von ‘Pionieren der
Reurbanisierung’ haben und einen Aufwertungsprozeß einleiten,
der die Voraussetzungen zerstört, die ihnen die Besetzung eines
bestimmten Viertels ermöglicht hatten. Statt Müsli und
naturtrübem Saft stehen dann Sekt und Kaviar auf dem Tisch. Ob
es dabei lediglich zu einer neuartigen Mischung oder zu einem
Verdrängungsprozeß kommt, hängt davon ab, wie groß der Anteil
von Yuppies an der Bevölkerung der jeweiligen Stadt ist .”[155]
Ein entscheidender Faktor für die Geschwindigkeit und das
Ausmaß des beschriebenen Durchmischungs- und
Verdrängungs-Prozesses ist auch der Anteil von
Dienstleistungsunternehmen in innerstädtischen Bezirken. [156]
Herlyn bewertet die Folgen der gentrification bereits im
Jahre 1990 weitgehend negativ: “Auf jeden Fall zeigen die
innenstadtnahen Altbauquartiere der großen Städte heute
mindestens zwei Gesichter: das traditionelle, solidarische
Kleine-Leute-Milieu neben dem individualisierten,
konsumaufwendigen Leben der Yuppies und Dinkies (double income,
no kids). Die frühere Einheitlichkeit des Lebenszusammenhangs
ist gesprengt und individualisiert, wobei das Leben in den
traditionellen Teilen zunehmend unter Anpassungsdruck gerät .”[157]
[137] “Der Blick auf die wachsenden Gebilde, die
einstmals Städte waren, zeigt uns, daß sie einem Menschen
gleichen, der verzerrt wird durch krebsige Tochtergeschwülste.
Vielleicht gibt es keinen Todestrieb; aber Umstände, die
tödlich wirken. Davon ist hier die Rede, obgleich wir - wie
alle, die je auf dem Pulverfaß saßen - so tun, als wäre alles
unstörbar in bester Ordnung”, Mitscherlich, A., Die
Unwirtlichkeit unserer Städte - Anstiftung zum Unfrieden, S. 7
ff.
[138] Die Sanierung führt jedoch in vielen Stadtteilen durch
die massiv einsetzende Spekulation zum Abriß etlicher alter
Häuser, vgl. Kap. C. II. 1.3.3 (1968 ff.: MieterInnenproteste,
Hausbesetzungen und halbherzige Reformen).
[139] Vgl. Kap. B. II. 2. (Städte im Wandel).
[140] Vgl. Kap. C. II. 1.3.3 (1968 ff.: MieterInnenproteste,
Hausbesetzungen und halbherzige Reformen).
[141] In Hamburg beispielsweise, betrugen die öffentlichen
Ausgaben für die Sanierung 150 Mio. DM. Sie lösten allerdings
private Investitionen von weiteren 350 Mio. DM aus, vgl.
Friedrichs, J., Stadtsoziologie, S. 119.
[142] Wie so etwas funktioniert, beschreiben wir ausführlich
in den Kap. C. II. 2.5.2 (Stadtteilsanierungsprogramme).
[143] Friedrichs, J., Stadtsoziologie, S. 119.
[144] Bereits 1987 beschreiben Häußermann, H. und Siebel,
W. das Phänomen in ihrem Buch ‘Neue Urbanität’, ohne jedoch
den Begriff ‘gentrification’ zu benutzen.
[145] Friedrichs, J., Stadtsoziologie, S. 120.
[146] Von Häußermann und Siebel auch ‘die Alternativen’
genannt.
[147] Im Folgenden auch ‘Yuppies’ (Young Urban
Professionals) oder ‘Dinkies’ (double income, no kids)
genannt.
[148] Vgl. Friedrichs, J., Stadtsoziologie, S. 121.
[149] Vgl. ebenda, S. 120.
[150] Häußermann, H., Siebel, W., Neue Urbanität, S. 14.
[151] Vgl. Friedrichs, J., Stadtsoziologie, S. 122ff.
[152] Genannt werden u.a.: ArbeitsmigrantInnen, Arbeitslose,
Sozialhilfe-EmpfängerInnen und RentnerInnen, vgl. WZ, 26.10.95.
[153] Vgl. Friedrichs, J., Stadtsoziologie, S. 122.
[154] Vgl. ebenda, S. 122.
[155] Häußermann, H., Siebel, W., Neue Urbanität, S. 19.
[156] Deren gehobene Angestellte die ‘Gentrifiers’
oftmals sind, vgl. auch WZ, 26.10.95: “In Oberbilk sind sie [die
‘Gentrifiers’; d.V.] die Vorhut der Wirtschaftsumwandlung,
wie sie durch das IHZ geplant ist.”
[157] Herlyn, U., Leben in der Stadt, S. 153.