Etwa zur gleichen Zeit, gegen Ende der 20er
Jahre, befinden sich die meisten Häuser in der Altstadt in einem
miserablen, völlig verrotteten Zustand. Ein Großteil diese
Häuser wird von ArbeiterInnen und SubproletarierInnen [304] bewohnt. Die notwendigen
Renovierungsarbeiten zum Erhalt der Häuser werden von den
BesitzerInnen nicht getätigt, da diese Investitionen für sie
keinen höheren Gewinn versprechen. Aus den MieterInnen der alten
Häuser wird bereits der höchstmögliche Mietzins ‘herausgepresst’.
Ein Beispiel für Verwahrlosung von Bausubstanz [305] und eine erfolgreiche Gegenwehr von
MieterInnen ist die Bastionsstraße 33. [306]
Im Haus ist die Kanalisation seit langem verstopft und es
existiert eine unerträgliche Rußbelästigung durch fehlende
Kaminsperren. Die Flure sind sanierungsbedürftig, das
Treppenhaus wie auch die Wohnungen in katastrophalem Zustand.
Obwohl der Hauseigentümer Belles es nicht für nötig hält, die
längst überfälligen Reparaturen durchzuführen, erhebt er sehr
hohe Mieten und die Mietverträge widersprechen in vielen Punkten
dem Reichsmieterschutzgesetz. Ein Arbeitsloser, der mit seiner
Frau und zwei Kindern ein Zimmer bewohnt, muß monatlich 29 Mark
an Belles bezahlen. [307] Ein
kleiner Geschäftsmann, der in dem angrenzenden Ladenlokal ein
Eisbüdchen betreibt, wird durch die Mietforderung von 110 Mark
in den Ruin getrieben. Nach ausbleibenden Mietzahlungen erhält
er ‘postwendend’ die Räumungsklage.
Schönheitsreparaturen haben die MieterInnen selbst zu tragen,
wofür Belles jedoch 4% mehr Mietzins erhebt. Beschwerden und
Einwände werden mit der Aufforderung quittiert: “Wenn ihnen
das nicht paßt, dann ziehen sie doch aus .”[308]
Diese Zustände veranlassen 12 Mietparteien der Bastionsstraße
33 im November 1932, eine Hausversammlung einzuberufen. Auf
dieser werden fünf Forderungen an den Vermieter gestellt:
“1. Abschluß von Mieten, die unter das
Reichsmieterschutzgesetz fallen.
2. Herabsetzung der Mieten auf ein erträgliches Maß, das zu
dem Einkommen der Mieter in vernünftigem Verhältnis steht.
3. Einrichtung einer Waschküche.
4. Durchführung der notwendigen Reparaturen und Abstellung
der größten Mißstände.
5. Zurücknahme der Räumungen.” [309]
Durch die sofortige Aufnahme eines gemeinsamen Mietstreiks
verdeutlichen die BewohnerInnen die Ernsthaftigkeit ihres
Anliegens.
Belles reagiert mit Anzeigeerstattung gegen die Streikenden bei
der Kriminalpolizei, die tatsächlich die Ermittlungen wegen des
Straftatbestandes ‘Erpressung’ aufnimmt. Da jedoch 1932 ein
Grundsatzurteil am Berliner Amtsgericht gefällt wurde, daß “Mietstreiks,
wenn diese auf einer Hausversammlung beschlossen worden waren,
keine strafbaren Handlungen” [310]
darstellen, bleibt der Familie Belles nach 3½-monatigem
Mietstreik im Februar 1933 nur noch die Möglichkeit, auf die
Forderungen der MieterInnen einzugehen.
Viele Reparaturen werden nun durchgeführt und ebenso wie die
Gerichtskosten vollständig vom Hauseigentümer getragen.
Darüber hinaus erhalten die MieterInnen nun die Möglichkeit,
ihre Mieten in zwei Monatsraten zu zahlen.
“NachahmerInnen fanden die erfolgreichen MietstreikerInnen
allerdings nicht mehr. Ihren Sieg hatten sie wenige Tage nach der
Machtübernahme der Nationalsozialisten errungen .”[311]
[304]Vgl. Terz 4/92, S. 20.
[305] Aus einer städtischen Untersuchung von 965 Häusern
mit 1.409 Wohnungen im Jahre 1922/23:Lediglich bei “295 ‘Fällen’
gab es keine Beanstandungen, bei 487 stellte man eine
vernachlässigte Instandhaltung fest, bei 393 Feuchtigkeit, bei
187 brüchige Wände und Decken, bei 143 verrottete Fenster, bei
181 schadhafte Aborte, bei 96 ungenügende Abfallbeseitigung und
bei 23 sogar fehlende Wasserzapfstellen. ”, Weidenhaupt,
H., Düsseldorf-Geschichte, Band 3, S. 273.
[306]Vgl. Terz, 4/92, S. 20.
[307]Und das bei einem durchschnittlichen Wochenlohn von
21,75 Mark (1932) - vgl. mit dem Kapitel “Wirtschaftliche und
soziale Situation” (in Weimar)
[308] Terz 4/92, S. 21.
[309] Ebenda, S. 21.
[310] Ebenda, S. 21.
[311] Ebenda, S. 21.